Paul Akers empfiehlt, den Menschen vor allem beizubringen, Verschwendung zu sehen. Das klingt ganz einfach, schließlich ist über die verschiedenen Arten der Verschwendung schon genug geschrieben worden. Allerdings fast ausschließlich für die Produktion und alle, die sich an einem Transfer auf Büroarbeit versucht haben, sind nicht über halbwegs passende (und eher lauwarme) Analogien zu den Kategorien der Produktion hinausgekommen.
Allerdings gibt es im Büro andere Facetten und auch die Hot Spots sind andere, was im Wesentlichen daran liegt, dass die Arbeit in Büros Kopfarbeit ist und bis auf die am Ende vorhandenen Ergebnisse unsichtbar bleibt. Ich habe bereits in dem Buch „50 Mal Verschwendung“ viele der vorhandenen Spielarten beschrieben. Um den Betroffenen den Zugang zu erleichtern und mehr Sehen zu ermöglichen, werden sie nachfolgend auf eine Handvoll Arten verdichtet. Dabei folgt die Grundstruktur den bekannten Arten der Verschwendung, allerdings unter Nennung der Besonderheiten und in absteigender Reihenfolge ihrer Bedeutung.
- Der Experte Mensch:
Wenn nicht die Prozesse die Experten sind, sondern die Menschen (Zitat Paul Akers), liegt das daran, dass die Beteiligten in festen Aufgabengebieten immer wieder ähnliche Aufgaben übernehmen. Als zuständige Experten brauchen sie nicht lange zu überlegen oder Absprachen zu dokumentieren und sind allein schon deshalb viel schneller. Vermeintlich. Denn die feste inhaltliche Zuordnung fördert Warteschlagen und die stete Wiederholung verhindert persönliches ebenso wie betriebliches Wachstum. Sind solche Experten einmal abwesend, kommt es zu Wartezeiten oder Stress, einen Vertreter zu finden, und die weitgehend persönlichen Sonderwege erschweren neuen Mitarbeitern, sich die Besonderheiten dieser Tätigkeiten anzueignen.
- Bestände:
Im Büro liegen Bestände in Form von Aufgabenbeständen vor. Sie resultieren vor allem aus schwankendem Arbeitsanfall bei festen Zuständigkeiten und weitgehend festen Arbeitszeiten. Folglich bleiben In Phasen hoher Auslastung Aufgaben liegen, was die Bearbeitungszeit verlängert und allerlei negative Konsequenzen nach sich zieht. So können Details und Absprachen mit der Zeit vergessen werden, Wartezeiten für Kollegen und Kunden entstehen, Umplanungs- und Priorisierungsaufwand erforderlich werden und Störungen durch Rückfragen, Stress, Hektik oder Hin- und Herwechseln zwischen den Aufgaben auftreten.
- Ausnahmen:
Wenn in der Produktion Ausnahmen gemacht werden, fällt das sofort auf. Die Konstruktion muss angepasst und neue Materialien müssen beschafft werden. Da schauen alle hin und manchmal muss das sogar genehmigt werden. Bei Denkarbeit hingegen ist es die Regel, dass Aufträge nur unter allerlei Sonderabsprachen gewonnen bzw. angenommen werden. Dabei sind alle erstmaligen Lösungsbestandteile mit zusätzlichem Aufwand für die betreffenden Recherchen, Entwicklungen und Entscheidungen verbunden. Die Varianz nimmt zu und mit ihr sinkt die Transparenz und gehen Skaleneffekte verloren.
- Fehler:
Fehler und Nacharbeit sind häufiger und zugleich schwieriger zu erkennen als in der Produktion. Die gängigsten Formen sind fehlende Ziele oder Informationen, Missverständnisse bei der Übergabe und tatsächlich falsche Arbeitsergebnisse, die meist die Folge von Hektik oder fehlender Sorgfalt sind. Fehler verursachen Blindleistung, Rückfragen sowie schlimmstenfalls die Wiederholung der Leistungserbringung.
- Änderungen:
Im Internetgeschäft ist es nahezu ausgeschlossen, bestimmte Eckdaten nachträglich zu ändern. Bestellt ist bestellt. Anders ist das bei Software, Gutachten oder anderen Denkprodukten. Von Zielen über Features bis hin zu Anlieferadressen bleibt auch im Verlauf der Leistungserbringung alles diskutabel. Auch wenn es nur kleine Änderungen sind, ist es mitunter sehr aufwendig, an alle Beteiligten zu denken und sicherzustellen, dass aus der Änderung keine Mehrdeutigkeiten, Missverständnisse oder Fehler resultieren. Ändern sich unterwegs sogar die Ziele, muss die Arbeit mitunter wieder von vorne beginnen.
- Überbearbeitung:
Diese Kategorie ist unheimlich vielfältig, aber im Vergleich zu den genannten Themen eher von untergeordneter Bedeutung. Alles Mögliche kann die Bearbeitungszeit verlängern. Es kann sich um unnötige Schritte, ein zu kompliziertes Vorgehen, einen Verzicht auf Werkzeuge oder die automatisierte Bearbeitung mit einer Software, Planung statt Selbststeuerung, übermäßige Präzision, mutwillige Wiederholungen oder die Verwendung einer überhaupt nur eingeschränkt nützliche Vorgehensweise handeln (z.B. ist es nicht ausreichend, Informationen zu versenden und zu erwarten, damit seien die anderen bereits informiert).
- Warten:
Natürlich kann es zu Wartezeiten kommen. Auf das Hochfahren des Computers, die Genehmigung vom Chef oder die Zulieferung von einem Kollegen. Üblicherweise sorgen aber die vorhandenen Bestände dafür, dass die Wartezeiten mit anderen Aufgaben gefüllt werden können, so dass die Verschwendung auf die gegenseitigen Unterbrechungen beschränkt bleibt.
- Bewegung und Transport:
Sie sind vom Grunde her ebenso vorhanden wie bei physischer Arbeit, beispielsweise als der Weg, der zum Drucker zurückgelegt wird. Aber die Bewegung von Daten wird heute überwiegend Datenleitungen überlassen, weshalb diese Verschwendungsarten praktisch eine immer kleinere Rolle spielen.
- Überproduktion:
Eine losgrößenbedingte Vorproduktion von Ergebnissen ist bei der Denkarbeit eher unrealistisch. Am ehesten könnte die Behandlung von Themen ohne irgendeinen Bezug zum Kundenwert als Überproduktion gewertet werden. Oder die übervorsichtige Beendigung von Themen, weil wir sie ja doch nicht brauchen oder zu viele andere Themen am Laufen sind. Beide Phänomene würden in der Produktion als gänzlich unübliche Produkte oder als unvollendete Rudimente optisch sofort ins Auge fallen, weshalb sie dort weit seltener anzutreffen sind als bei der Büroarbeit.
Obwohl die Mehrheit der Arbeit in entwickelten Industrieländern im Dienstleistungsbereich bzw. in den Büros geleistet wird, beschäftigen sich die Erörterungen zum Lean Management weiterhin vornehmlich mit der sichtbaren Industriearbeit, bevorzugt in verketteten Systemen. Wer sich mit Büroarbeit beschäftigt, ist bestenfalls auf sich selbst gestellt. Schlimmstenfalls konzentriert er sich auf das übliche Vorgehen der Berater, mit Swim-Lane-Diagrammen überflüssige Prozessschritte zu suchen. Das ist zwar ingenieursmäßig greifbar, wird aber nur den kleinsten Teil der vorhandenen Verschwendungen reduzieren helfen.
Ein Schaubild zur Verschwendung in Büros kann hier heruntergeladen werden.
Bild: unsplash.com / Kaffeebart