Machen wir es kurz: Es gibt zwei Dinge, die es überhaupt nicht gibt. Wobei bei Bielefeld bin ich mir da gar nicht so sicher. Ganz im Gegensatz zum Begriff „New Work“. Offensichtlich ist er mit seinem an die Capitale der Welt erinnernden Klang für viele so anziehend, dass er 2019 zum dominierenden Modebegriff avanciert ist. Xing benannte sich vor kurzem in New Work SE um und täglich gibt es neue Veranstaltungen, die den Begriff auf die eine oder andere Art kommerziell für sich zu nutzen versuchen.
Alle, die ihn hören und mit großer Hoffnung aufschauen, muss ich enttäuschen, denn nichts an der Arbeit in den ausgehenden 2010er-Jahren ist neu im Wortsinn. Wir könnten allerhöchstens konstatieren, dass sich die „Arbeitsschwerpunkte“ für den Menschen verschoben haben. „New Major Activities“ gewissermaßen. Klingt aber nicht so schön.
Denn heute gibt immer weniger Aufgaben, die wiederkehrend gleich sind. In Unternehmen also, die sich konsequent um Automatisierung bemühen, verlieren die Menschen diesen oft auch als monoton empfundenen Teil ihrer Arbeit an die Maschinen, Computer und Smartphones. In der ersten Welle waren das Montage- und Prüfaufgaben, Auftragserfassung, Zahlungsverkehr und ähnliche. In der zweiten Welle werden die verbliebenen logistischen Handhabungen sowie die Belegerkennung automatisiert. Damit sind diese Tätigkeiten jetzt „Machine Work“ und aus Sicht der Menschen „Lost Work“.
Die entstehende Lücke füllt der Teil der Arbeit, in dem es darum geht, Neues zu schaffen. Neue Automatisierungslösungen zu finden und einzuführen oder neue Produkte, Marktangebote und Verkaufswege zu etablieren. Gerade dort spielt zunehmend die Musik, wo in Kleinprojekten neue Lösungen entstehen. Weil die Industrie keine organisatorischen Lösungen zur Hand hatte, erfolgreich mit dieser Art der Arbeit umzugehen, hat sich die Software-Industrie aufgemacht und unter dem Stichwort „agil“ ein neues Instrumentarium entwickelt, das zunehmend auch in Produktmanagement, Vertrieb, Business Development und Konstruktion klassischer Branchen Anwendung findet. Dabei handelt es sich am ehesten um „New Project Work Solutions.“
Also von „New Work“ immer noch keine Spur. Als Nächstes schaue ich mir an, was die Verfechter und Piraten des Begriffes darunter verstehen. Da finden wir eine amorphe Sammlung von Prinzipien, Stichworten und als Imperativ formulierter Ideen. Begriffe wie Freiheit, Sinn, Weiterentwicklung und Selbstverantwortung. Aber auch von Wertschätzung ist die Rede bis hin zu Äußerlichkeiten wie Home Office und dem Weglassen von Krawatten. Die Buntheit der Gedanken ist vermutlich ebenso Ursache für die rasante Verbreitung, wie sie für mich verwirrend ist.
Etwas weiter geforscht finde ich den zentralen Gedanken der Bewegung: Die Automatisierung führt immer mehr dazu, dass die Menschen sich mit der Frage konfrontiert sehen: „Was willst du in Zukunft im Arbeitsleben machen?“ Ja, natürlich, denke ich, das kennen wir seit 50 Jahren unter dem Stichwort Berufsberatung. Und natürlich müssen sich unsere Kinder mehr Gedanken als früher machen, was sie besonders gut können, wenn sich berufliche Möglichkeiten ebenso ausdifferenzieren wie die individuellen Talente der Menschen. Das ist dann eine Herausforderung insbesondere für unsere Bildungsträger, vielleicht unter dem Stichwort „New Education“.
Und was bedeutet das für die, die sich bereits irgendwo auf ihrer beruflichen Reise befinden? Da wird gesagt, Arbeit müsse zukunftsweisend und sinnstiftend sein. Das ist ein Stück weit tautologisch, wenn wir uns nur in Erinnerung rufen, dass die wiederkehrende Arbeit mit ihrer stumpfsinnigen Zerlegung in einzelne Handhabungen zukünftig von Maschinen erledigt werden wird. Damit wird der verbleibende Rest bereits sehr viel sinnvoller und dem Menschen mit seinen besonderen Fähigkeiten sehr viel gerechter, ohne dass wir überhaupt etwas dafür tun müssen.
Den Rest wird das ökonomische Prinzip leisten, nach dem wir zwar viel erfinden und ausprobieren (und dafür auch Unsummen an Fördergeldern verschwenden) können, sich aber am Ende nur durchsetzen wird, was andere als so sinnvoll empfinden, dass sie bereits sind, einen auskömmlichen Betrag dafür zu bezahlen. Wenn wir das subjektiv im Einzelfall nicht als sinnvoll empfinden, dann sollten wir beginnen, unseren Spar- und Bequemlichkeitswahn und unsere Gedankenlosigkeit als Konsumenten in Frage zu stellen, die für alles verantwortlich sind, was in der Wertschöpfungswelt schiefläuft. Dann fordern wir besser einen „New Consumer Ethos“.
Und die Befreiung der Menschen von der klassischen Erwerbsarbeit? Wäre das nicht auch sinnvoll? Mit Sicherheit. Auch das ist ein großer Fortschritt, dass sich heute jeder vom Diktat des Unternehmers befreien kann, indem er sich ohne große Hindernisse selbständig macht. Allerdings sollte er sich bewusst sein, dass der nur das Diktat des Chefs durch das Diktat des Kunden ersetzt. Und das Diktat des Chefs eigentlich auch nur das Diktat des Kunden repräsentiert hat. Denn am Ende können wir unseren Wohlstand nur steigern, wenn wir unsere Tätigkeiten darauf richten, Werte zu schaffen und anderen dabei zu helfen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Alternativen dazu haben wir im 20. Jahrhundert ausprobiert, mit der Folge verheerender Fehlsteuerungen, Innovationsverluste und Staatspleiten.
Was fehlt uns jetzt überhaupt noch, um in der Arbeitswelt unter den Bedingungen der beschleunigten Automatisierung erfolgreich zu sein? Wenn wir beispielsweise fordern, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, uns wieder bewusst zu werden, dass wir nur als Gemeinschaft erfolgreich sein können und darauf zu achten, keine Ressourcen zu verschwenden, dann ist das zum einen selbstverständlich, weil Kreativität und Neues ausschließlich im Zusammenspiel von Menschen gedeihen können, zum anderen denke ich mir, das kennst Du doch. Das verbreitet sich seit den 90er Jahren unter dem Stichwort Lean um die Welt.
Und was ist mit all den tollen Arbeitsbedingungen? Bequeme Büros, Home Office, Remote Work, Arbeiten ohne Kleiderordnung und Zwänge? All das, was wir tun, damit sich Mitarbeiter wohlfühlen? Ich fürchte, das ist nur Folklore, ein extrinsischer Wettlauf um Äußerlichkeiten. Denn Sinn für Höchstleistung hat nichts mit Wohlfühlen, sondern mit der Selbstverpflichtung des einzelnen auf ein höheres Ziel zu tun. In Los Alamos gab es keine Chillecken, Play Station, Massagen oder Home Office. Nur die Idee, verbissen an einer Lösung zu arbeiten, mir der sich der Krieg beenden ließ, und diese schneller zu finden als alle anderen.
Ich schließe mit dem eindrücklichen Zitat von Ulf Christiansen:
Ich dachte immer ganz lange, dass Spaß an der Arbeit etwas mit Unternehmenskultur, Feelgood Manager etc. zu tun hat, aber für mich ist Spaß an der Arbeit tatsächlich, wenn man gemeinsam im Team etwas schafft, was einen Mehrwert schafft und einen Sinn hat.
Damit entpuppt sich New Work bei gutmütiger Interpretation als Lean plus ganz viel Folklore. Und während sich irgendwann herausstellen mag, dass es Bielefeld doch gibt, wird das bei New Work mit Sicherheit nicht geschehen und es wird eine blasse Erinnerung auf dem Friedhof vergessener Modewellen bleiben.
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