Seit Menschengedenken versuchen wir, die Produktivität zu steigern. Vornehmlich dadurch, dass wir die Arbeitsteilung vorantreiben. Ein Vorgehen, dass sich in der heutigen Zeit zum süßen Gift entwickelt hat, mit dem wir unserer Produktivität nachhaltig schaden.
Das liegt zunächst am sehr fortgeschrittenen Grad der Arbeitsteilung. Heute haben wir nicht nur Abteilungen gebildet, weil beispielsweise ein Monteur und ein Buchhalter ganz unterschiedliche Talente haben. Wir trennen auch zwischen dem Bearbeiten von Aufgaben (Mitarbeiter) und dem Entscheiden (Chef). Selbst innerhalb von Abteilungen übernimmt jeder immer dieselben Aufgaben, obwohl das aufgrund der jeweiligen Ausbildung nicht erforderlich wäre (meine Kunden, Deine Kunden). Und wenn jemandem seine Arbeit zu viel wird, suchen wir einen weiteren Mitarbeiter, der besonders jung und günstig ist und denken uns, dass er ja alle einfachen Aufgaben übernehmen kann (schwierig, einfach). Im Ergebnis geht die Arbeit durch extrem viele Hände, bis sie erledigt ist.
Von nahem betrachtet ist dieses Vorgehen äußerst effektiv. Jeder, der mitmacht, spezialisiert sich auf einzelne Aufgaben und findet Wege, diese immer schneller zu lösen. Gemeinsam treffen wir langfristige Absprachen, wer was macht, was jeweils zu tun ist, was wir bekommen und was wir weitergeben. Und schon greift ein Rädchen ins andere, ohne viel zu diskutieren.
Leider entspricht dieses ingenieursmäßige Bild der Wertschöpfung nirgendwo der Realität. In jeder Firma ist das Kunden-/ Arbeitsvolumen mal höher und mal niedriger. Und die Aufgaben verändern sich, weil Kundenwünsche sich verändern oder wir uns als ihre Problemlöser verstehen. Weil es Überraschungen gibt – Dinge nicht so sind, wie sie eigentlich sein sollen – weil wir Ausnahmen machen oder wir uns einfach nur verändern wollen.
In jedem dieser Fälle müssen wir dafür sorgen, dass alle Beteiligten darüber informiert sind, was anders ist. Und wir brauchen sie dazu, eine Lösung zu finden. Wegen ihres Wissens oder damit sie zustimmen. Das treibt die Zahl der gegenseitigen Störungen und notwendigen Meetings. Und schlimmer noch: weil irgendjemand immer fehlt und jeder seine eigenen Ziele hat, können wir uns oft nicht einigen und müssen mehrere Anläufe unternehmen. Und weil mit der Zunahme der Arbeitsteilung der organisatorische Aufwand exponentiell ansteigt, hat sie sich zum größten praktischen Feind der Veränderung entwickelt.
Noch schlimmer aber als die beobachtbaren Folgen sind die Nebenwirkungen übertriebener Arbeitsteilung: jeder (einzigartige) Spezialist bildet einen durch seine Arbeitszeit begrenzten Engpass. Bei schwankender Arbeitsmenge, Urlaub oder Krankheit explodieren seine unerledigten Aufgaben (Bestände), die Bearbeitungszeiten und in der Folge die Verschwendung. Schnell liegen Termine in der Vergangenheit und die Transparenz weicht dem operativen Chaos.
Das Gefühl, auf ein greifbares und zurechenbares Ergebnis hinzuarbeiten („meine Maschine“, „mein Konzept“, „die Lösung“) wird von der endlosen Wiederholung einer in seiner Bedeutung schwer einschätzbaren Teilaktivität abgelöst. Die Identifikation mit der Arbeit leidet, Sinnkopplung, Motivation und Sorgfalt gehen verloren. Fehler und Nacharbeit nehmen zu.
Was mir allerdings am schädlichsten scheint: Mit zunehmender Arbeitsteilung hat der größte Teil aller Mitarbeiter keinen Kontakt mehr zum Kunden. Die Resonanz zum Markt wird zur Ausnahme und die Gespräche innerhalb der Firma drehen sich in unnatürlichem Maße um sich selbst.
Inzwischen sind Veränderungen und Neues in der Welt so dominant geworden, dass die Unproduktivität in stark arbeitsteiligen Firmen massiv zugenommen hat. Nur, dass die Schuld nicht bei der Arbeitsteilung, sondern bei den Symptomen gesucht wird: häufig störenden Kollegen, vielen E-Mails und der nicht endenden Prozession von Meetings. Konzepte wie „WOL“ und „360-Grad-Bearbeitung“ lassen sich als erste Signale einer Gegenbewegung verstehen, die der Erkenntnis folgt, dass die Arbeitsteilung zum süßen Gift für unsere Produktivität geworden ist.
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