Als geübter Macher beschäftige ich mich auch bei meiner Arbeit häufig mit dem Erledigen von Aufgaben. Eine Kunst, der weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird, als dem blumigen Diskutieren, Vertagen, Weitergeben, Wiederkäuen und Sammeln von Aufgaben.
Im Ergebnis ersticken 99,9 Prozent unserer Zeitgenossen in ihren sortierten, priorisierten und verschiedenfarbig markierten Aufgabenbergen, klagen über Kapazitätsmängel, garniert mit einer Vielzahl Entschuldigungen, Erklärungen und Absichtsbekundungen. Das ist so normal geworden, dass sie nicht mal mehr auf die Idee kommen, es könnte anders sein oder einen Ausweg, eine Rettung vor dem Ersticken geben.
Aber natürlich gibt es ihn und ich will seine Zutaten an dieser Stelle beschreiben. Sehr gefallen hat mir das Zitat, das vom Dalai Lama stammen soll, nach dem es nur an zwei Tagen im Jahr nicht möglich sei, etwas zu tun, der eine heiße „gestern“, der andere „morgen.“ Korrekt. Denn nur heute können wir tatsächlich gestalten, entscheiden, handeln. Wir müssen uns nur Zeit nehmen und den festen Willen haben, etwas zu erledigen oder zu verändern.
Dabei achten wir besser darauf, keinesfalls nur über etwas zu sprechen, etwas zu prüfen oder zu recherchieren. Genaugenommen sind wir erst mit einer Aufgabe fertig, wenn die Realität hinterher anders ist als vorher. Weil wir idealerweise etwas bestellt, geliefert, verkauft oder weggeworfen haben, einen Text verfasst oder eine Auswertung erstellt, mindestens aber eine Vereinbarung umgesetzt haben, nach der wir ab sofort anders zusammenarbeiten, oder eine Fragestellung so beantwortet haben, dass alle weitermachen können.
Das klingt ja eigentlich ganz einfach, warum tun sich dann so viele Menschen trotzdem so schwer, voranzukommen? Genau besehen, weil sie selbst bei ausreichend Zeit und klarem Willen kunstvoll beginnen, sich immer tiefer zu verstricken. In vermeintlicher Cleverness und Perfektion. Was am Ende zum perfekten Tod führt. „Tod“ deshalb, weil wir etwas, das sich nicht mehr bewegt, als „tot“ bezeichnen. Und in diesen Fällen bewegt sich tatsächlich überhaupt nichts mehr, keinen mü (µ). Was verbleibt, ist traktionsloses Geflatter.
Denn bei unseren Aufgaben versuchen wir nicht, die Fäden so zu enttüddlen, dass jeder einzelne Knoten völlig eigenständig und ohne Abhängigkeiten vor uns liegt, so dass wir ihn sofort lösen könnten. Stattdessen verknüpfen wir mit der Aussicht auf einen kleinen und weit entfernten Vorteil virtuos mehrere oder gar eine Vielzahl von Fragestellungen, ganz so als würden wir kraftvoll von beiden Enden an einem Kabelknäuel ziehen. Dann stehen wir zweifelnd davor, ob wir das je wieder aufgelöst bekommen.
Dabei reicht es bereits, eine Handlung mit einer zweiten zu verknüpfen, um eine Verschiebung um vier bis fünf Tage zu erreichen: Den Brief bringe ich weg, wenn ich die Tage zum Einkaufen in die Stadt fahre. Um mir einen Weg zu sparen. Ihre Lieferung können wir erst dann senden, wenn wir eine LKW-Ladung voll haben. Um Transportkosten zu senken. Natürlich, das habe ich mir schon gedacht.
Goldratt hätte das wohl Lokaloptimierung genannt. Wenn wir mit einer notwendigen Beschaffung warten, bis der Mehrwertsteuersatz gesenkt ist. Oder etwas erst entscheiden können, wenn alle, aber auch alle Beteiligten anwesend, vorbereitet und entscheidungswillig sind. Oder erst wenn der Erfolg unserer Entscheidung sicher(er) erscheint. Wenn wir mit der Digitalisierung warten, bis unser ERP-Hersteller den nächsten Schritt geht, wir geeignete neue Mitarbeiter gefunden haben und der aktuelle Auftragsboom abgearbeitet ist. Andauernd finden wir Gründe, warum später ein viel besserer Zeitpunkt für die Handlung ist. Oder welche Nebenbedingungen die perfekte Lösung ebenfalls noch erfüllt. Das Ergebnis? Der eierlegende Wollmilchtod.
Sollte jemand tatsächlich die Nase voll haben, seine Zeit derart wirkungslos in Diskussionen und Geflatter aufgehen zu sehen, dann sei ihm geraten, sich eine beliebige hartnäckig prokrastinierende Fragestellung vorzunehmen. Sie sich genauer anzuschauen und von jeder Art Abhängigkeit zu befreien bis sie nackt und unabhängig vor uns liegt. Dekomponieren, in die Einzelteile zerlegen, würden die Sterneköche das nennen.
Dann stellen wir uns einfach vor, die Aufgabe müsse oder könne nur heute getan oder entschieden werden. Und verwenden nur Information und Zutaten, die heute verfügbar sind. Wenn wir die Meinung von jemandem benötigen, der nicht verfügbar ist oder andere Prioritäten hat, ersetzen wir ihn durch jemanden anderes.
Ignorieren wir alle Gedanken der Art „aber dann zahle ich mehr“ oder „aber dann kann ich das nicht mehr dafür verwenden“ oder „aber dann muss ich da zweimal hinfahren“. Das mag vordergründig kleine Nachteile bedingen, wird aber durch den Fortschritt bei weitem überkompensiert.
Selbst wenn uns das nicht bei jeder Aufgabe gelingt, mit jeder einzelnen Lösung verschwenden wir weniger Zeit und wird die Menge offener Fragen immer kleiner und übersichtlicher. Während die Zahl der Erfolge steigt. Und selbst wenn die Lösungen mal nicht perfekt sind, stören wir uns nicht dran, wir wissen ja, dass sie das rückblickend betrachtet niemals sind.
Wenigstens leben wir wieder.
Was für ein Gewinn.
Bild: unsplash.com; Elijah O‘Donnell