Immer häufiger wird behauptet, jeder könne in die Entscheidungsfindung im Unternehmen einbezogen werden oder Probleme lösen. Das mag grundsätzlich möglich sein. Aber wenn die Überlegungen erst bei einer bevorstehenden Entscheidung einsetzen, sind bereits Impulse vorausgegangen, auf die mit der Entscheidung reagiert wird. Egal, ob wir zwischen Lösung A und Lösung B zu einer Aufgabe zu wählen haben oder zu einem erkannten Problem oder einer überraschenden Planabweichung eine Antwort suchen, damit es weitergehen kann.
Machen wir uns auf die Suche nach den originären Impulsen, finden wir solche, die aus dem Umfeld stammen und auf Kunden, Lieferanten, Wettbewerber, die Politik oder technische Erfindungen zurückzuführen sind. Und es gibt solche, die im Unternehmen selbst entstehen. Letztere sind sehr bedeutsam. Schließlich kommt das Wort Unternehmen von „etwas unternehmen.“ Dafür gilt es zu fragen: Wo ist es zu ruhig? Wann, warum und wie ändern wir ohne direkte äußere Veranlassung die Gesamtrichtung der Firma? Wann und wo können wir nicht so weitermachen wie bisher? Wo und wann brauchen wir eine neue Aktivität? Und welche bevorzugen wir, wenn mehrere Aktivitäten möglich sind, wir aber nicht alle zugleich finanzieren können? Wieviel Energie investieren wir jeweils und welche Reserven müssen wir berücksichtigen, wenn wir paar Jahre weiterdenken?
Das sind höchst diffizile Fragen und nicht wenige Menschen sind allein schon mit der unendlichen Vielfalt und Tragweite überfordert. Oder verspüren schlicht keine Handlungsnotwendigkeit. Denn Menschen mit der Fähigkeit, Impulse zu erzeugen, können sich meist unbewusst eine Erwartung zum jeweiligen Ziel- oder Soll-Zustand der unterschiedlichsten Sachverhalte im Unternehmen machen, und so kleinste Abweichungen entdecken oder schon vor ihrem Auftreten antizipieren. Wie ein Seismograf fragen sie sich ständig: Was kann passieren? Wo kann ich was lernen? Wo kann ich helfen? Was kann ich ausprobieren, um bessere Ergebnisse zu erzielen? Worum kann ich mich kümmern? Wen kann ich warnen?
Aber warum reicht es nicht aus, einfach nur zu reagieren? Bei der Reaktion erfolgt die Aktivität vergleichsweise spät. Das erhöht den Druck und punktuellen Aufwand sowie die Wahrscheinlichkeit, dass die Entscheidungen falsch sind, Ergebnisse zu spät vorliegen oder qualitativ nicht zufriedenstellend sind. Eine Gruppe, in der alle nur reagieren, ist außerdem nicht in der Lage, über das Maß hinaus, in dem „nötigende“ Impulse an sie herangetragen werden, neue Wege zu gehen. Damit hängt die Zukunft ein Stück weit vom Zufall ab, und das Risiko ist stark erhöht, im Istzustand gefangen zu bleiben und im Vergleich zu Wettbewerbern zu degenerieren. Gerade wegen der Wettbewerbsvorteile ist auch das Konzept der Extra-Meile sehr eng damit verknüpft, mehr Energie aufzuwenden, als es die im Umfeld vorhandenen Impulse erfordern würden.
Am Ende ist es eine unverzichtbare Erfolgsvoraussetzung einer Gruppe, dass mindestens einer über die Fähigkeit verfügt, die Geschehnisse um die Beteiligten herum zu verarbeiten und daraus zunächst für sich persönlich Impulse für weitere Handlungen abzuleiten. Und sie im richtigen Maß und zum richtigen Zeitpunkt einzubringen. Einer meiner Kunden hat das vor kurzem Impulskraft genannt.
Praktisch ist derjenige mit Impulskraft der, der dem Team ganz von allein immer wieder das wärmende Feuer anfacht. Diese Fähigkeit ist nicht notwendigerweise an Hierarchien geknüpft, aber qua Natur eine Form von Führung und häufig eng mit den besonderen Stärken der Gründer oder ursprünglichen Initiatoren der Unternehmung verbunden. Wobei auch die Dosis von Bedeutung ist, denn verfügen zu viele über Impulskraft und bringen ihre Impulse ungebremst ein, wird das Team in einem Feuersturm aus Vorschlägen und Diskussionen ersticken.
Das Wissen um die Bedeutung der Impulskraft ist sehr wichtig, weil es das Augenmerk auf die Beobachtung des Rollenspiels in der Gruppe und die Steuerung der Teamzusammensetzung lenkt. Und der Personalarbeit eine entscheidende, aber bisher weitgehend unbeachtete Dimension hinzufügt. Ich wäre sehr gespannt, woran die Analyse-Bots, mit deren Hilfe heute massenhaft Lebensläufe ausgewertet werden, Impulskraft erkennen würden. Vermutlich wird es wieder mal die „künstliche Intelligenz“ richten müssen… 😉
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