Das Einhorn gilt als gutherziges magisches Fabelwesen. Kaum eine Fantasy-Geschichte kommt ohne es aus, egal ob mit oder ohne Regenbogen. Es symbolisiert Kraft, Freiheit und Frieden, häufig werden ihm übernatürliche Kräfte zugeschrieben und manchmal bringt es gar Tote ins Leben zurück.
Oha, das ist eine sehr nützliche Eigenschaft, die uns auch bei der Arbeit helfen kann. Beispielsweise wenn es darum geht, Projekte wiederzuerwecken oder zu retten, dann gibt es häufig Situationen, in der wir uns gerne ein solches Einhorn herbeiwünschen.
Projekte sind die Organisationsform für Neues. Mehr oder weniger plangemäß durchlaufen wir die Schritte, die erforderlich sind, ein Bauwerk, ein neues Produkt oder ein Computerprogramm zu erschaffen. Dabei kommt es im Zusammenhang mit dem Neuen nicht selten zu Überraschungen und unerwarteten Problemen. Manchmal hat gerade nur keiner Zeit, an einer Aufgabe zu arbeiten, oder wir brauchen aufgrund der besonderen Umstände einfach ein wenig länger, um eine eigentlich gar nicht so neue Aufgabe zu lösen. All das kann zu Verzögerungen führen, die sich häufig im Projektverlauf addieren und Stress-, Hektik- und Kostenlevels immer weiter ansteigen lassen.
Und hier kommt das Einhorn – das magische Fabelwesen – ins Spiel: Die Vorstellung, wenn wir nur dafür sorgen, dass jeder einzelne Termin im Verlauf des Projektes pünktlich erfüllt wird, dann sei automatisch sichergestellt, dass der Endtermin ebenfalls pünktlich erreicht werde. Das ist vom Grunde her eine logische Vorstellung, die aber ebenso realistisch ist, wie nächsten Donnerstag Nachmittag im ICE nach Fulda leibhaftig neben einem Einhorn zu sitzen. Denn dann müssten wir bereit sein, konsequent mindestens eine der logischen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Warum wir das vernünftigerweise nicht sind, werden wir sehen, wenn wir sie uns im Einzelnen anschauen:
Wir könnten zum einen einen Planungsstab einsetzen, dem es gelänge, jede mögliche Überraschung vorzudenken und im Vorhinein durch die Suche nach Alternativen und entsprechende Tests praktisch auszuschließen. Und immer exakt die richtige Zahl an geeigneten Mitarbeitern zur aktuellen Aufgabenmenge zu ermitteln, einzuplanen und bereitzustellen. Diese Variante würde die Projektplanung X-fach verteuern und verschieben. Deshalb würde das aus wirtschaftlichen Gründen niemand tun wollen.
Alternativ könnten wir im Projektplan für jeden einzelnen Arbeitsschritt sehr viel mehr Zeit reservieren, als im Normalfall oder bestenfalls erforderlich ist. So dass in 100% aller Fälle, die eintreten können, der jeweilige Endtermin mit Sicherheit eingehalten wird. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Ausführenden zügig mit der Arbeit beginnen und sich nicht wie Studenten bei der Masterarbeit auf die Erreichung des Endtermins konzentrieren und zu spät mit ihrer Arbeit beginnen. Eine solche Reserve für jeden Schritt des Projektes vorzusehen, würde aber die Gesamtdauer viel stärker verlängern, als das überhaupt erforderlich wäre. Denn in den wenigsten Fällen treten bei jedem Schritt Überraschungen auf, die eine solche worst-case-Verlängerung nach sich ziehen. Und deshalb würde ein solcher Projektplan auch niemals vom Kunden akzeptiert werden.
Die dritte Möglichkeit wäre ein flexibles Heer von Helfern, das bei Auftreten einer Überraschung wie von magischer Hand gerufen herbeiträte und unabhängig von der Größe des Problems für die umgehende Lösung und Erledigung sorgen würde. Eine solche Kapazitätsreserve oder Kapazitätsflexibilität an sich wollen wir uns aber grundsätzlich nicht gönnen, weil wir die Produktivitätsverluste fürchten, wenn mal alles am Schnürchen läuft und jemand untätig herumstehen könnte.
Und weil wir keine der drei Voraussetzungen jemals konsequent verfolgen, gleicht die Forderung nach festen Terminen im Projekt dem Ruf nach dem Einhorn, wenn wir zum falschen Zeitpunkt in den Katakomben der Berliner Unterwelt auf eine Gruppe bewaffneter Unholde treffen.
Als sehr gute Lösung für eine verlässliche (End-)Terminplanung in Projekten hat sich deshalb das Vorgehen erwiesen, im Projektverlauf immer eine gewisse Terminflexibilität zu akzeptieren und diese transparent zu machen. Um Liege- und Lösungsfindungszeiten schnell erkennen und beheben zu können. Und für die Summe aller Verlustzeiten einen Kollektivpuffer am Ende des Projektes einzuplanen, dessen jeweiliger Verbrauch uns Aufschluss über die momentane Dringlichkeit des betreffenden Projektes gibt. In dieser Kombination lassen sich fest zugesagte Endtermine am sichersten erreichen.
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