Über 30 Jahre, nachdem Computer Einzug in unser Leben hielten, tun wir uns immer noch schwer. Kaum eine Softwareeinführung kann als gelungen bezeichnet werden. Das liegt zum einen daran, dass die Software nicht oder nicht stark genug zum Anlass genommen wird, Vorgehensweise zu hinterfragen und liebgewonnene Ausnahmen zu beseitigen. Noch viel mehr aber daran, dass einige fundamental wichtige Schritte missachtet werden:
1. Definiere das Ziel
In der Regel heißt es, „wir brauchen ein neues …-System“. Fragen wir „wozu denn?“ wird es nicht selten schnell sehr vage. Die anderen tun es halt auch, ist dann noch der klarste Grund. In den wenigsten Fällen ist das Ziel klar umschrieben, welcher Teil der Wertschöpfung konkret in welcher Weise automatisiert werden soll. Dabei ist das unbedingt erforderlich, um zwischen den inzwischen mehreren hundert Varianten aus allen Preisklassen, Software-Generationen und Größenordnungen das am ehesten zu uns passende Programm auszuwählen. Und es hilft uns unterwegs dabei, fokussiert zu bleiben. Denn die allermeisten Programme irrlichtern damit „ich kann auch dies“ „ich kann auch das“. Wie beim free-shopping glänzen unsere Augen und wir sagen, toll, das wollen wir auch, obwohl wir viele der Prozesse bisher gar nicht hatten oder brauchten. Das klare Ziel bewahrt uns unterwegs vor jeder Form der Zerfransung und stellt sicher, dass die Softwareeinführung nicht zu einem Mehrjahresmonster mutiert.
2. Begründe den Nutzen
Gerade in den letzten Jahren sind Mitarbeiter skeptisch geworden. Sie haben erkannt, dass durch den Controlling- und Kontrollwahn ihrer Manager viele Daten erfasst werden müssen, die gar keinen direkten Nutzen für sie oder die Kunden haben. 2022 sehen sie jede neue Software zuerst als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, „dann muss ich ja noch mehr Daten eingeben.“ Wollen wir erreichen, dass sie die Software tatsächlich nutzen, müssen wir uns mit ihrer Skepsis auseinandersetzen und überzeugend* erklären können, welchen Nutzen die Software bietet. Für sie persönlich, die Firma, besser noch für die Kunden. Feiner Nebeneffekt: die Erklärung hilft gleichzeitig uns selber, den jeweils aktuellen Stand unser Überlegungen zu reflektieren und fokussiert zu bleiben.
3. Definiere und verknüpfe alle Funktionen vollständig
Gängige Produkte im App-Store laden wir runter und legen los. Der Kaltstart ist inzwischen auch zum Vorbild für betriebliche Software-Einführungen geworden. Wir installieren das Programm oder richten Zugänge ein und verkünden den Kollegen, „ab nächsten Montag arbeiten wir damit“. Die Kritik ist nicht fair, rufen wir jetzt innerlich abwehrend, die hatten doch eine halb-Tages-Schulung vom Anbieter. Mit Mittagessen und allem Drum und Dran. Dabei vergessen wir aber, dass die Benutzung durchaus regelmäßig geübt werden darf, um sicher mit einer Software umgehen zu können. Viel wichtiger ist noch, dass wir den Ablauf vollständig durchgespielt und abgebildet haben und keinerlei Lücken vorhanden sind. Ansonsten gibt es ab Tag eins Bypässe, Abkürzungen, Sonderwege und Unvollständigkeiten. Und zwar so viele, wie es Mitarbeiter gibt, denn jeder wird jede Lücke zu lösen wissen, nur immer unterschiedlich.
4. Sorge für Bedienkomfort
Von der Logik her ist eine Software nur eine Tabelle, deren Felder wir füllen. Und Daten werden eingegeben, indem wir die passenden Funktionen aufrufen, dort das richtige Feld auswählen, etwas eintragen und dann bestätigen oder buchen. Große Firmen nutzen zudem die Auto-Logout-Funktion, so dass sich jeder User bei gelegentlicher Programmnutzung wieder neu anmelden muss. Besonders bei großen und älteren Programmen entstehen damit lange Wege zum Ziel. Nicht selten dauert die Eingabe eines einzelnen Wertes 30-40 Sekunden. Die Modem- und Disketten-Ära lässt grüßen. Privat zucken wir heute schon, wenn wir bei schlechtem Netz 5-10 Sekunden darauf warten müssen, dass sich eine Seite aufbaut. Auch wenn wir es mit so vielen Datenfeldern zu tun haben, dass wir erst mühsam suchen müssen, auf welchem Reiter beispielsweise das Teilegewicht zu finden ist, beeinträchtigt das den gefühlten Bedienkomfort. All das lässt die Nutzung des Systems weniger attraktiv und seltener werden. Und schnellere Trampelpfade werden etabliert. Idealerweise orientieren wir uns beim Komfort an heutigen Privatnutzer-Standards und überzeugen uns persönlich, ob wir selber mit dem System arbeiten würden, bevor wir das von unseren Mitarbeitern und Kollegen verlangen.
5. Begleite den Betrieb aktiv
Da Softwarekosten als hoch und die IT als unproduktiv betrachtet werden, trifft man selten auf hauptamtliche Systembetreuer. Am ehesten wird nachträglich an Layout und Datensatzstrukturen herumgedoktort, meist mit Hilfe externer Dienstleister. Systematische Stammdatenpflege, regelmäßige Nachschulungen, Erklärungen angrenzender Funktionen, systematische Trainingsprogramme für neue Mitarbeiter, ständige Ansprechpartner und tägliche Systemverbesserung sind gerade in kleinen und mittleren Firmen Fehlanzeige. Und so ist zu 100% sichergestellt, dass das, was einmal eingeführt ist, ab dem ersten Tag nur noch schlechter wird. Immer bis zu dem schlechtest möglichen Stand, der noch tolerierbar ist, bevor das Geschäft Schaden nimmt. Das ist in etwa da, wo die Rufe nach einem besseren System wieder laut werden.
Wenn wir einen oder mehrere dieser Schritte unbeachtet lassen, erhalten wir irgendeine Form von Daten-Torso, der von jedem unterschiedlich stark und auch anders genutzt wird. Die Daten sind mit Vorsicht zu genießen und lassen sich häufig nicht ohne Korrekturen für Auswertungen verwenden. Oftmals sind Parallelwelten und -listen nötig, um Lücken zu umspielen. Im Ergebnis führt die gängige lauwarme und desinteressierte Form, Software zu nutzen, dazu, dass echte Produktivitätssprünge ausbleiben und genauso viele Mitarbeiter nötig bleiben wie vorher. Sie tun halt nur andere Dinge. Es bleibt zu hoffen, dass mit der Zeit unser Ehrgeiz zunimmt und wir lernen werden, die Vorteile von Software konsequent zu nutzen und die erreichte Produktivitätssteigerung in den Mittelpunkt zu stellen.
*überzeugend = so, dass die beteiligten Personen tatsächlich ihr Verhalten ändern
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