Autonomie vs. Standards – der schmale Grat zur Produktivität

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Autonomy vs. standards – the fine line to productivity
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Gemäß der gän­gi­gen Moti­va­ti­ons­theo­rie (Deci/Ryan 2008) setzt Moti­va­ti­on drei wesent­li­che Bau­stei­ne vor­aus: Auto­no­mie, Kom­pe­tenz und sozia­le Ein­ge­bun­den­heit. Eine Schlüs­sel­stel­lung kommt dabei der Auto­no­mie zu. Auto­no­mie in dem Sin­ne, dass die Men­schen nach ihrem frei­en Wil­len selbst bestim­men können.

Wäh­rend Auto­no­mie eng mit dem Begriff der Frei­heit im Sin­ne von Entscheidungs- bzw. Hand­lungs­frei­heit ver­bun­den ist, wird Fremd­be­stim­mung als ent­ge­gen­ge­setz­ter Zustand mit Macht und Macht­aus­übung in Ver­bin­dung gebracht. Macht­aus­übung in dem Sin­ne, dass die Frei­heit der Wahl beschränkt wird, indem bei­spiels­wei­se Anwei­sun­gen und strik­te Ver­hal­tens­re­geln vor­han­den sind, an die sich die Betei­lig­ten zu hal­ten haben.

Fol­gen wir die­ser Argu­men­ta­ti­on, kön­nen ein­schrän­ken­de Rege­lun­gen in unse­rem Arbeits­le­ben deut­lich nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf die Moti­va­ti­ons­la­ge der Betei­lig­ten haben. Im Umkehr­schluss wird die Selbst­be­stim­mung in der Arbeits­welt zuneh­mend als för­de­rungs­wür­di­ger Schritt zur Moti­va­ti­ons­stei­ge­rung und Huma­ni­sie­rung gefeiert.

Wenn Auto­no­mie ein solch heik­le Hand­lungs­feld dar­stellt, wie weit geht sie dann und wo sind ihre Gren­zen? Ins­be­son­de­re wenn es um Rege­lun­gen geht, die das pro­duk­ti­ve Zusam­men­wir­ken der Betei­lig­ten gewähr­leis­ten oder för­dern sol­len. Schau­en wir uns eini­ge Bei­spie­le genau­er an: Neh­men wir das Hand­lungs­feld „wann“, also die freie Wahl der Arbeits­zei­ten. Wäh­rend sich das The­ma in der Gesell­schaft zuneh­men­der Beliebt­heit erfreut und in krea­ti­ven Beru­fen als nor­mal gilt, wer­den Pro­fi­fuß­bal­ler die gemein­sa­me Anstoß­zeit eben­so wenig in Fra­ge stel­len, wie der Ein­zel­han­del sei­ne gere­gel­ten Öff­nungs­zei­ten und die Betrei­ber von Pro­duk­ti­ons­li­ni­en den gemein­sa­men Arbeits­be­ginn am Mor­gen. Hier bestimmt vor­nehm­lich der Kon­text die Gren­zen der Autonomie.

Kei­ne Auto­no­mie besteht hin­ge­gen übli­cher­wei­se bei der Zuord­nung ein­zel­ner Auf­ga­ben, dem „wer“. Übli­cher­wei­se ver­tei­len Chefs nach ver­kün­de­ten Regeln oder situa­ti­ven Über­le­gun­gen die Arbeit auf die­je­ni­gen Mit­ar­bei­ter, von denen sie sich ver­spre­chen, dass die­se sie am bes­ten lösen kön­nen. Wäh­rend die­ses Vor­ge­hen dem „Push“- Prin­zip folgt und den Mit­ar­bei­tern kein Hand­lungs­spiel­raum lässt, ver­spricht die Umstel­lung auf „Pull“, d.h. die eigen­ver­ant­wort­li­che Aus­wahl der Auf­ga­ben durch die Mit­ar­bei­ter selbst, eine deut­li­che Aus­wei­tung ihrer per­sön­li­chen Auto­no­mie. In die­sem Fall ent­springt die Fremd­be­stim­mung übri­gens eher dem tra­di­tio­nel­len Rol­len­ver­ständ­nis, denn der betrieb­li­chen Notwendigkeit.

Ein ganz beson­de­rer Fall sind „Stan­dards“, d.h. ver­bind­li­che Kon­ven­tio­nen „wie“ Auf­ga­ben im Detail aus­ge­führt wer­den. Hier gilt heu­te ver­brei­tet ein abso­lu­ter Auto­no­mie­an­spruch. Auf gut deutsch: jeder geht davon aus, dass er die Din­ge machen kann, wie er es für rich­tig hält. Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on als per­sön­li­cher Hoheits­be­reich. Leicht erkenn­bar an den Sät­zen: „außer mir kann das kei­ner“ oder „xyz kann nur ich.“ Um das aber klar­zu­stel­len: das ist von den Han­deln­den kei­nes­falls böse gemeint und ein fes­ter Bestand­teil ihres indi­vi­du­el­len Bestre­bens, im bes­ten Wis­sen und Gewis­sen ihr Bes­tes zu geben.

Lei­der ist an die­ser Stel­le jedes über­stei­ger­te Auto­no­mie­be­stre­ben kon­tra­pro­duk­tiv. Es ver­hin­dert den Aus­tausch über den jeweils bes­ten Weg, die per­sön­li­che sowie kol­lek­ti­ve Ver­bes­se­rung und auf­grund der Viel­zahl indi­vi­du­el­ler Wege auch die Auto­ma­ti­sie­rung durch Robo­ter oder Software.

Zwar redu­zie­ren Stan­dards auf den ers­ten Blick die gefühl­te Ent­schei­dungs­macht des ein­zel­nen. Aber sie sind die Auto­bahn vom Mit­tel­al­ter in die Moder­ne und das mäch­tigs­te Pro­duk­ti­vi­täts­werk­zeug, das wir heu­te haben. Genau­ge­nom­men ermög­licht erst die Dis­kus­si­on und Iden­ti­fi­ka­ti­on des jeweils bes­ten Weges, der allen bekannt und weit­hin sicht­bar ist, dass jeder kon­flikt­frei auto­nom han­deln kann, weil er die Grund­la­gen und Gren­zen sei­nes Kol­lek­tivs kennt. Denn Auto­no­mie ist nie­mals abso­lut, wo Men­schen sich als Mit­glie­der von Gemein­schaf­ten in sozia­len und mora­li­schen Struk­tu­ren bewe­gen. Viel­mehr wer­den sie immer durch die Nor­men des jewei­li­gen Kon­tex­tes beschränkt wer­den. Nor­men, die indi­vi­du­ell, his­to­risch und nicht ein­mal not­wen­di­ger­wei­se ver­nünf­tig sein müs­sen (so z.B. tages­spie­gel vom 27.8.2013).

Der Schlüs­sel zur Lösung liegt dann dar­in, das Kol­lek­tiv wirk­sam zu orches­trie­ren und die Auto­no­mie der aus­schließ­li­chen Bestim­mung des per­sön­li­chen Weges durch die aus­schließ­li­che Auto­no­mie des Teams zur Dis­kus­si­on, Bestim­mung und Ver­bes­se­rung der gemein­sa­men Stan­dards zu erset­zen. Auf die­se Wei­se lässt sich die Pro­duk­ti­vi­tät stei­gern, ohne dass das per­sön­li­che Auto­no­mie­emp­fin­den der Betei­lig­ten beein­träch­tigt wird.

Abge­se­hen davon emp­fiehlt sich auf der Suche nach höchs­ter Pro­duk­ti­vi­tät ganz gene­rell der dif­fe­ren­zier­te Umgang mit den ver­schie­de­nen Dimen­sio­nen der Auto­no­mie (was, wie, wer, wann, mit wem).

Bild: www.unsplash.com / David Marcu

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