In Zeiten zügig fortschreitender technischer Entwicklung verändern sich die Märkte fortlaufend. Unternehmen müssen sich schnellstens an die jeweils neuesten Gegebenheiten anpassen, um ihre Positionen zu wahren und neue Marktchancen zu kreieren.
Vielen fällt es nicht leicht, ihre Gangart parallel zum heutigen Fortschritt zu beschleunigen. Das gilt ganz besonders für Großunternehmen und ihre Ableger. Herbert Diess schrieb kürzlich sinngemäß, dass ihm Elon einst gesagt habe, dass es nicht einfach sei, mit seinen Vorhaben [erg.: bei VW] erfolgreich zu sein. In etablierten Firmen sei die signal-to-noise-ratio einfach zu niedrig. Und zusätzlich zur Kakophonie der Nebengeräusche tendieren etablierte Firmen dazu, eher konservativ und langsam zu agieren. Grund genug, sich anzuschauen, welche Mechanismen im Einzelnen die Geschwindigkeit reduzieren, und wie sie sich wieder steigern lässt.
1. Am schnellsten erledigen wir eine Aufgabe direkt und selbst. Geben wir sie weiter, sei es, weil jemand sie im Kern geschickter erledigen kann, weil jemand dafür offiziell zuständig ist oder er unser Handeln genehmigen muss, verlängert sich die Bearbeitungszeit. Wir müssen den richtigen anderen finden, mit ihm sprechen, und er muss unser Anliegen in seine Schlange wartender Aufgaben einreihen. Dabei kann es ebenso wie bei der Ablieferung der Ergebnisse zu Missverständnissen, Fehlern oder Vergessen kommen. Um die Geschwindigkeit zu erhöhen, sollte bei der Diskussion, wer was macht, bevorzugt darauf geachtet werden, die Zahl der insgesamt Beteiligten auf das Minimum zu reduzieren.
2. Häufig leidet die Entscheidungsgeschwindigkeit, weil der Grad der Arbeitsteilung mit dem Wachstum einer Firma stark zugenommen hat. Gilt es, generelle oder übergreifende Themen zu besprechen, müssen viele Kollegen gehört werden. Und je mehr Beteiligte, desto länger ist der Vorlauf, sie an einen Tisch zu bekommen, ihre Aufmerksamkeit und zum Schluss auch ihre ehrliche Zustimmung zu erhalten. Jede Nachlässigkeit erhöht die Zahl der Irritationen und Iterationen. In solchen Fällen kann eine höhere Geschwindigkeit erreicht werden, indem erfahrende Personen oder Gremien die Erledigung für die Gruppe übernehmen und die übrigen Kollegen nur im Wege des „consent“ gezielt in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.
3. Insbesondere in großen Firmen werden die Ziele ingenieursmäßig heruntergebrochen und mit lokalen Initiativen verwoben, um Incentive-Potpourris für die Verantwortlichen zu kreieren. Nicht selten widersprechen sich die individuellen Ziele, während das gemeinsame übergeordnete Ziel unsichtbar und damit unbeachtet bleibt. Dann bekämpfen sich die Parteien und die Festlegung von Prioritäten und Lösungen dauert sehr viel länger, als das notwendig wäre. Für die Geschwindigkeit ideal sind komplementäre und transparente Ziele. Idealerweise kann jeder auf Anhieb den aktuellen Spielstand, Zielabweichungen und daraus resultierende Handlungsbedarfe erkennen (Jidoka).
4. Noch viel schlimmer ist das Arbeiten ganz ohne Ziele. Entweder, weil diese nicht bekannt sind, im Übermaß der Ressourcen keine Rolle spielen oder die Kunden so weit weg sind, dass ihre Erwartungen dem System keine Orientierung bieten. Dieser schlimmste Fall unternehmerischer Verwahrlosung gleicht der Arbeit unter Schwerelosigkeit. Nichts spielt eine Rolle und die Beteiligten können ausschließlich beschäftigt mit sich selbst, ihre Eigenliebe, Neugier und Faszination für das übertriebene Detail ausleben. Zustände wuchernder Selbstverliebtheit findet sich am ehesten in Größt-Unternehmen, Ämtern und sonstigen öffentlichen Institutionen. Solche Systeme sind – wenn überhaupt – nur auf Trab zu bringen, indem der Belegschaft frisches Blut zugeführt wird und sie nachhaltig direkt mit Kunden und ihren Bedürfnissen konfrontiert werden. Denn nichts wirkt stärker beschleunigend, als wenn die Kunden gemeinsam und lautstark protestieren, dass sie ihren Willen haben wollen, und zwar sofort.
5. In den mitteleuropäischen Wohlstandgesellschaften verhalten sich viele Menschen sehr sicherheitsorientiert. Sie zieht es in die großen Unternehmen, wo sie in ihrem Bestreben, ihre Karriere nicht zu gefährden, vor „vorschnellen“ Entscheidungen zurückschrecken und versuchen, ausschließlich im Kreise großer Gruppen zu entscheiden. Solcherlei persönliche Vorsicht korrespondiert regelmäßig mit dem Bestreben dieser Unternehmen, den Status quo bestmöglich zu erhalten und mit ausgefeilten Regeln jede Art von Alleingängen und Normabweichungen zu unterbinden. In der Kombination beider Effekte lassen sich weit über 90% jeder Handlungsenergie im Keim unterbinden. Diese System zu verändern und in ihrer Handlungsfähigkeit zu beschleunigen, bleibt mutigen Vorbildern vorbehalten, die das Regelset gezielt reduzieren, Alleingänge autorisieren, Irrtümer akzeptieren bzw. honorieren und lokale Entscheidungen zu kurzfristig gesetzten Fristen einfordern.
6. Neben diesen systemischen Faktoren sei noch ein menschlicher Denkfehler erwähnt: Regelmäßig sind wir nicht in der Lage, dynamisch bzw. in Opportunitäten zu denken. Dadurch wird nicht-Handeln zur validen Option, für viele sogar zur dominierenden. Sie warten darauf, dass Dinge geschehen oder nehmen sich einfach ihre Zeit. Obwohl jeder Tag des Verzugs bei einer Investition verlorene Einsparungen bedeutet, jeder verlorene Tag einer Produkteinführung verlorenen Umsatz. In vielen Fällen geht über die Verspätung das Momentum verloren oder verändern sich die Voraussetzungen derart, dass die Gelegenheit insgesamt perdu ist. Gegen diesen Denkfehler lässt sich am besten vorgehen, indem der Schaden offen benannt wird („dann verlieren Sie ja noch 2 Wochen Geld“) und der jeweils nächste Schritt daraufhin überprüft wird, ob sich nicht durch ein alternatives Vorgehen schneller ein größerer Fortschritt erzielen lässt.
7. Vollständigkeitshalber sei erwähnt, dass auch die persönliche Arbeitsorganisation zu sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten führt. Wer eher planlos Aufgaben sammelt und sich vom aufgeregten Geschrei seiner Umwelt steuern lässt, wird nicht so schnell zu Lösungen und Erfolgen kommen wie seine Wettbewerber, die ihren Arbeitsvorrat transparent halten, ihr jeweiliges Vorgehen planen und sich auf die Erledigung konzentrieren können. Glücklicherweise erkennen immer mehr Menschen die Bedeutung einer gut strukturierten Arbeitsweise für eine ausgeglichene Lebensbilanz.
In Summe lauern bei stetig zunehmendem Handlungsbedarf überall Verlockungen zur Entschleunigung. Wer sie konsequent entschärft, kann schneller fahren und sich Vorteile auf seinem Markt verschaffen. Also, Vollgas voraus.
Se tutto sembra sotto controllo significa che non stai andando abbastanza veloce.
Wenn alles unter Kontrolle zu sein scheint, bedeutet das, dass Du nicht schnell genug bist.
(Mario Andretti)
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