Zuletzt rückt ein Phänomen zunehmend in den Mittelpunkt, das als „change without change“ bezeichnet wird. Praktisch geht es darum, verbesserte Resultate anzustreben, ohne dass Veränderungen in der Organisation oder im Verhalten der Beteiligten damit verbunden wären. Wenn man den Widerspruch in diesem Gedankengang bedenkt, stellt sich die Frage, wie es zu diesem Phänomen kommen kann.
Gehen wir von der Grundannahme aus, alle gäben ihr Bestes, dann wären die jeweils in einer Gruppe vorherrschende Handlungsweisen diejenigen, die gemäß der stillschweigenden Überzeugung der Beteiligten die bestmöglichen Ergebnisse erzeugten. Auch wenn sie sich über Vieles beklagten, würde es ihnen im Regelfall an Gründen oder Vorstellungskraft fehlen, sich auf die Suche nach einer anderen Vorgehensweise zu machen.
Und das vornehmlich deshalb, weil die Suche das Verlassen des Gelernten oder Bekannten bedeuten würde. Wenn wir Jordan Peterson folgen, der behauptet, im Grunde wolle niemand erfolgreich sein, den Menschen gehe es vielmehr darum, nicht zu scheitern, dann erklärt sich, warum wirkliche Veränderungen überhaupt nur selten oder verhältnismäßig spät ins Auge gefasst werden. Meistens geschieht das als Akt weitsichtiger Impulskraft des Eigentümers oder aus der Angst einer betroffenen Führungskraft, in ihrer aktuellen Funktion oder Tätigkeit zu scheitern.
Wird die Initiative zu Veränderungen ergriffen, ist ihr tatsächlicher Weg sehr steinig. Zunächst muss mindestens einer der Beteiligten neue Gedanken fassen. D.h. Zugang zu ihnen erhalten, sie in sein eigenes Bild integrieren und daraus geeignete Anpassungsbedarfe ableiten. Auf dieser Basis steht er vor der Entscheidung, ob er trotz besseren Wissens so weitermachen will wie bisher, allein um nicht als Außenseiter aufzufallen und sich in der Gruppe angreifbar zu machen. Oder ob er sein Verhalten wirklich ändern will. In diesem Fall wird es nicht mehr zu dem Verhalten seiner vor- oder nachleistenden Kollegen passen. Wodurch notwendigerweise Widersprüche und Konflikte zu Tage treten, die es abzumildern und aufzulösen gilt.
In dieser Situation gibt es mehrere Möglichkeiten: Die Veränderung geht von einer Person aus, die so wichtig oder charismatisch ist, dass sich die anderen an ihr orientieren, dann könnte das neue Verhalten von ihnen übernommen werden. Oder eine Mehrheit (neuer) Mitarbeiter einigt sich auf ein neues Vorgehen, so dass sich die Minderheit diesem Weg anschließt, um nicht in die Rolle der Außenseiter zu geraten. In allen anderen Fällen wird die Veränderung von der Mehrheit ignoriert oder bekämpft werden, einfach nur deshalb, weil die neue Lösung im Widerspruch zum Bewährten steht. Das gilt natürlich auch dann, wenn ein besserwissendes Projektteam die Veränderung per Dekret anordnet.
Ähnlich schlecht stehen die Aussichten, wenn die Mehrheit einen neuen Weg gehen will, der aber eine Verhaltensänderung von dem- oder denjenigen verlangt, die die Gruppe anführen. Wenn die Mächtigen oder Sinnstifter die Veränderung ablehnen, scheitert die Initiative trotz der Einigkeit und Überzeugung der Mehrheit. Insgesamt stehen also die Chancen von Veränderungsinitiativen, die zum Gegenstand haben, dass mehrere Beteiligte gemeinschaftlich ihr Verhalten anpassen, um bessere Ergebnisse zu erzielen, eher schlecht.
Reibungsloser verläuft die Veränderung in dem Fall, dass sie von jemandem angesichts seines drohenden Scheiterns ins Leben gerufen wird, sich die Beteiligten aber zunächst auf die Analyse, Interpretation und Dokumentation der aktuellen Situation konzentrieren. Das verschafft ihnen gemeinsam die Zeit, nach Lösungen zu suchen, die vordergründig den Eindruck einer Veränderung erwecken, ohne dass von ihnen eine Verhaltensänderung verlangt würde. Ein solcher „change without change“ kann Handlungsfähigkeit demonstrieren und den Initiator von dem Scheitern bewahren, während alle anderen davon profitieren, dass ihnen viel Energie, Konfliktpotential und persönliche Unsicherheit des vermiedenen Anpassungsprozesses erspart bleiben.
Wohin man schaut, nur Gewinner. Mit Ausnahme derjenigen, die sich für die finanziellen Ergebnisse des gemeinsamen Schaffens interessieren. Für sie heißt es: Außer Spesen und Projektkosten nichts gewesen. Berater, die am Change interessiert sind, machen sich im Projektverlauf regelmäßig ein Bild von den tatsächlichen Interessen der Beteiligten, um nicht plötzlich mit der Change-Arbeit alleine dazustehen. Auftraggeber, die am Change interessiert sind, scheuen sich nicht, das Thema offen anzusprechen.
P.S. Das Beitragsbild zeigt sinnbildlich Veränderung ohne Veränderung. Einen Kreis kann man drehen, also verändern, ohne dass er sich verändern würde.
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