Aussen hui, und innen…?

Woran Du erkennst, dass Du ein Lean Projekt brauchst
29. September 2023
Die Crux mit den Zielen
7. Januar 2024

Fir­men­be­su­che sind ein belieb­tes Mit­tel, um mal zu schau­en, was die ande­ren so tun. Bei der Gele­gen­heit kön­nen wir Fort­schritt im Ein­satz beob­ach­ten, und viel­leicht sel­ber davon pro­fi­tie­ren, wenn sich das Gese­he­ne über­neh­men lässt. Aller­dings han­delt es sich meist um ent­fern­te­re Bran­chen und die gast­ge­ben­den Fir­men legen ihre per­fek­tes­te Marketing-Fassade auf, um uns zu beeindrucken.

Auf den ers­ten Blick gelingt ihnen das regel­mä­ßig, und wir sind beein­druckt. Neu­lich las ich von rest­los begeis­ter­ten Besu­chern einer Fir­ma, die von einem digi­ta­len Ava­tar der Eigen­tü­mer „per­sön­lich“ begrüßt wor­den waren und spä­ter auch einen auto­nom fah­ren­den Robo­ter gese­hen hat­ten. Bei­des hiel­ten sie für vali­de Bewei­se, dass die Fir­ma hoch inno­va­tiv sein müsse.

Aber ist das auch so? Wie kön­nen wir eigent­lich beur­tei­len, was wir da zu sehen bekom­men? Wie gut und fort­schritt­lich ist die Fir­ma wirk­lich? Gera­de orga­ni­sa­to­risch ist das nicht ein­fach. Wie auch, wie in allen Lebens­be­rei­chen sind wah­re Exper­ten dünn gesät. Neu­lich erzähl­te mir ein erfah­re­ner Bera­ter­kol­le­ge, nach sei­ner Kennt­nis haben nur 5% aller Mit­ar­bei­ter schon ein­mal Opti­mie­run­gen in einer Pro­duk­ti­on durch­ge­führt und nur 0,01% damit auch eine nach­hal­ti­ge Ver­bes­se­rung der Pro­duk­ti­vi­tät erreicht.

Eben­so schwie­rig, wie die Bewer­tung fällt, genau­so wich­tig ist es, das Gese­he­ne und sei­ne tat­säch­li­che Bedeu­tung rich­tig ein­zu­schät­zen. Ansons­ten ver­pufft der Besuch­s­im­puls oder es fließt unnö­ti­ge Ener­gie in eine Idee, die sich spä­ter als nicht wirt­schaft­lich her­aus­stellt. Wenn bei­spiels­wei­se weni­ger stan­dar­di­siert gear­bei­tet wird, als es der auto­nom fah­ren­de Robo­ter vor­aus­setzt. Dann wird er am Ende manu­ell „gefüt­tert“ oder weit­ge­hend unge­nutzt in der Ecke stehen.

Um die­ses Risi­ko zu ver­mei­den, ken­nen poten­ti­el­le Besu­cher idea­ler­wei­se die wesent­li­chen Erfolgs­in­di­zi­en für ihren nächs­ten Fir­men­be­such. Dabei steht der wich­tigs­te Maß­stab für den wirt­schaft­li­chen Erfolg regel­mä­ßig gar nicht zur Ver­fü­gung, näm­lich das Betriebs­er­geb­nis. Dar­in flie­ßen alle Hand­lun­gen zusam­men, und es hat die­sel­be Funk­ti­on wie der End­stand beim Sport oder die erziel­ten Punk­te beim Kar­ten­spiel. Lei­der wer­den in der Pra­xis Ergeb­nis­rech­nun­gen meh­re­rer Betriebs­stät­ten zusam­men­ge­fasst, geheim gehal­ten oder aus steu­er­li­chen Grün­den ver­än­dert. Des­halb müs­sen wir wohl oder übel auf das ver­trau­en, was wir bei unse­rem Besuch zu sehen bekommen.

 

Zusam­men­ar­beit:

Die Qua­li­tät der Zusam­men­ar­beit zeigt sich ins­ge­samt dar­an, ob alle dar­an inter­es­siert sind, „in geord­ne­ten Ver­hält­nis­sen“ zu arbei­ten. Das bedeu­tet, dass jeder bemüht ist, es sei­nen Kol­le­gen so ein­fach wie mög­lich zu machen, ihren Job gut zu erle­di­gen. Es wird mit­ge­dacht und Teams geben sich Regeln, die auch EINGEHALTEN wer­den. Das erken­nen wir dar­an, dass alle Gegen­stän­de ihren mar­kier­ten fes­ten Platz haben und sich alle dis­zi­pli­niert so ver­hal­ten, wie es die all­seits sicht­ba­ren Regeln vorgeben.

Das Gegen­teil sind aller­hand Nachlässig- und Gedan­ken­lo­sig­kei­ten. Über­all ste­hen und lie­gen Din­ge her­um. Werk- und Fahr­zeu­ge ste­hen im Weg, Müll und Res­te sam­meln sich in den Ecken. Über Mona­te ein­ge­staubt. Aus­ge­häng­te Infor­ma­tio­nen sind ver­al­tet. Ob sich das Des­in­ter­es­se nur auf die Arbeit bezieht oder die sozia­le Dich­te gene­rell sehr nied­rig ist, erkennt das geüb­te Auge am Zustand der Sozi­al­räu­me, Toi­let­ten und Küchen. Das ist nicht anders als in jeder durch­schnitt­li­chen WG. 😉

 

Pro­duk­ti­vi­tät:

Das wich­tigs­te Indiz für eine hohe Pro­duk­ti­vi­tät sind pro­du­zie­ren­de Maschi­nen. Zäh­len wir ein­fach durch, ob Arbeits­plät­ze tat­säch­lich besetzt sind und pro­du­zie­ren. Jede ste­hen­de Maschi­ne bedeu­tet ver­lo­re­nen Umsatz und einen Kos­ten­nach­teil. In den meis­ten Fir­men sind Pro­duk­ti­ons­aus­fäl­le die Regel, weil Mate­ri­al oder Per­so­nal feh­len bzw. Maschi­nen defekt sind. Beson­ders wirt­schaft­li­che Fir­men haben für die­se Fäl­le Sicher­heits­be­stän­de, Krank­heits­re­ser­ven oder sogar Sprin­ger, die in den Pau­sen ihrer Kol­le­gen die Arbeit fortführen.

Idea­ler­wei­se erkun­di­gen wir uns, ob die Mit­ar­bei­ter ihr Arbeits­pen­sum in Form von Pro­duk­ti­ons­plä­nen und Soll- bzw. Ist-Stückzahlen des Tages ken­nen. Das bie­tet ihnen Ori­en­tie­rung und gibt uns einen Ein­druck über die Res­sour­cen­nut­zung. Am bes­ten fra­gen wir auch gleich nach, in wie vie­len Schich­ten pro Woche gear­bei­tet wird. Je grö­ßer die Ant­wort aus­fällt, des­to spe­zia­li­sier­ter und ins­ge­samt wirt­schaft­li­cher wird gearbeitet.

Wenn in gro­ßen Stück­zah­len und auf Lager pro­du­ziert wird, um die Maschi­nen­lauf­zeit zu erhö­hen, ist das eben­falls kein gutes Zei­chen. Dann hat sich die Fir­ma noch nicht damit beschäf­tigt, die Rüst­zei­ten zu redu­zie­ren. Das blo­ckiert die Pro­duk­ti­on, erhöht die Lager­be­stän­de und ver­zö­gert die Aus­lie­fe­rung an die Kun­den. Gene­rell kön­nen wir bei unse­rem Besuch durch­zäh­len, wie das Ver­hält­nis von war­ten­den Behäl­tern zu Bear­bei­tungs­ma­schi­nen ist. Zwei Behäl­ter pro Maschi­ne sind ide­al, nicht sel­ten sehen wir Fäl­le, in denen auf allen frei­en Flä­chen wei­te­re Behäl­ter ste­hen und auf ihre Bear­bei­tung warten.

Ganz gene­rell zeu­gen Stan­dards von einer nied­ri­gen Vari­anz und hoher Pro­duk­ti­vi­tät, sowohl in Form von Material- als auch von Pro­zess­stan­dards. Denn bes­te Lösun­gen wer­den gesucht und bestehen­de Arbeits­er­geb­nis­se wie­der­ver­wen­det. Die Nut­zung von Stan­dards erken­nen wir dar­an, dass Mit­ar­bei­ter sich gegen­sei­tig ver­tre­ten, Werk­zeu­ge und Behäl­ter ihren defi­nier­ten Platz haben und die häu­figs­ten Mate­ria­li­en sogar ihren fes­ten Stell­platz in der Produktion.

 

Inno­va­ti­on:

Inno­va­ti­on wird ger­ne vor­ge­führt, aber ob sie auch wir­kungs­voll ist, lässt sich fast gar nicht beob­ach­ten. Idea­ler­wei­se sind die Pro­duk­te inno­va­tiv. Am bes­ten fra­gen wir nach der neu­es­ten Pro­dukt­ge­ne­ra­ti­on, seit wann es sie gibt, wel­cher Umsatz­an­teil damit gemacht wird und wel­che neu­en Markt­seg­men­te damit gewon­nen wer­den konnten.

Der Nut­zen inno­va­ti­ver Werk­zeu­ge, wie Robo­ter oder Soft­ware, lässt sich dar­an erken­nen, dass sie tat­säch­lich genutzt wer­den. Um das her­aus­zu­fin­den, kön­nen wir nach dem Nut­zungs­grad fra­gen und danach, wie genau damit gear­bei­tet wird und wel­che posi­ti­ven Ergeb­nis­se dar­aus fol­gen. Denn jeder Fort­schritt ohne Wir­kung ist pures Mar­ke­ting. Wie bei dem Unter­neh­men, in dem nicht stan­dar­di­siert gear­bei­tet wur­de, aber ein moder­ner Flach­bild­schirm auf­ge­hängt wur­de, damit sich die Werk­er die Pro­dukt­zeich­nun­gen auf­ru­fen konnten.

Wow, das wirkt voll modern, aber wer es nut­zen will, muss erst ein­mal Arbeits­platz und Werk­stück ver­las­sen, Hand­schu­he aus­zie­hen und den Bild­schirm ent­sper­ren. What a beau­tiful dead hor­se. Nicht sel­ten wer­den Show-Innovationen nur zu kleins­ten Pro­zent­sät­zen genutzt, dann heißt es auf Nach­fra­ge ger­ne „das brau­chen wir nur, wenn…“, gefolgt von irgend­wel­chen Son­der­fäl­len. Autsch.

 

Auf die­se Punk­te zu ach­ten, erfor­dert eine gewis­se Übung. Aber mit der Zeit und jedem neu­en Besuch schärft sich der Blick und wächst der Mut, die genann­ten Fra­gen zu stel­len, auch wenn sich die Gäs­te­be­treu­er nicht sel­ten über­fragt zei­gen. Alter­na­tiv kann auch ein erfah­re­ner Beglei­ter beim „unboxing“ hel­fen, um das Gese­he­ne zu ana­ly­sie­ren und rich­tig ein­zu­ord­nen. Er wird im Detail noch wei­te­re Indi­zi­en ken­nen und Argu­men­te nen­nen kön­nen. So oder so kön­nen wir mit Hil­fe der rich­ti­gen Kri­te­ri­en deut­lich bes­ser hin­ter die Marketing-Fassade sehen und sicherh­stel­len, dass unse­re nächs­ten Fir­men­be­su­che tat­säch­lich zur Quel­le für unse­ren Fort­schritt werden.

Bild: unsplash.com / Katie Goertzen

Weitere Beiträge

    *Pflichtfelder