Wenn wir uns in Gruppen oder Firmen zusammenfinden, dann tun wir das, weil wir die Aufgaben, die wir dort bewältigen, alleine gar nicht oder nur weit weniger wirtschaftlich lösen könnten. Praktisch sind das Situationen, in denen wir schlicht aufeinander angewiesen sind. Um einen Umzug zu bewältigen, ein Feuer zu löschen, ein Vereinsheim zu bauen oder vielleicht sogar ein Auto.
Schauen wir uns heute in der Arbeitswelt um, ist das Bewusstsein für diese gegenseitige Abhängigkeit praktisch nicht mehr präsent. In der Realität dominieren Chefs, die einzelnen ihrer Mitarbeiter immer ähnliche Aufgaben zuweisen, die diese überwiegend nach persönlichem Gusto bearbeiten. Das gilt auch für größere Aufgaben, die zerteilt werden und bei denen sich jeder mit seinem Tortenstück der Gesamtaufgabe zurückzieht, um es alleine zu verdauen.
Annähernd alle tun gerade so, als wären sie völlig unabhängig voneinander. Unterstützt wird dieses Verständnis von der Architektur der ERP-Systeme, die so aufgebaut ist, dass jeder Bearbeiter seine persönlichen Aufgaben in Listen vorfindet und erledigt, wonach sie in die Liste des nachfolgendem Berbeiters weiterwandern.
Führung wird in diesen Kontexten als Akt der Arbeitsverteilung mit Leistungsüberwachung verstanden und Jahresziele werden pro Mitarbeiter formuliert und individuell belohnt.
Private Entwicklungen verstärken diese Individualisierung der Zusammenarbeit: die Familie als natürlicher Leistungsverband ist weniger bedeutend, und wir sind dank Dienstleistern, Plattformen und Apps bei der Bewältigung unseres Lebens immer seltener auf die Informationen, Fähigkeiten oder Unterstützung unserer Nächsten angewiesen.
So haben die meisten heute überhaupt keine Ahnung mehr, was Zusammenarbeit ist und wie sie überhaupt funktioniert. Denn die Beziehung mit den Arbeitskollegen beschränkt sich darauf, an der Kaffeemaschine distanziert, aber freundlich Informationen und Ergebnisse auszutauschen. Manchmal erzählen sich die Kollegen auch von den Unternehmungen des Wochenendes, aber dann ist auch schon Schluss.
Es ist übrigens überhaupt kein Wunder, dass Home Office für Zusammenarbeit nach diesem Verständnis als gleichwertige Option betrachtet wird. Schliesslich kommen wir ja nur noch zusammen, wenn etwas anders ist, als es sein sollte, um dann mit allen sieben bis zehn arbeitsteilig betroffenen Gewerken zu beratschlagen, wie der jeweilge Einzelfall zu lösen ist. Dann werden verschiedenen Systemmöglichkeiten miteinander abgewogen und die weiteren Schritte festgelegt.
Dabei ist wahre Zusammenarbeit sehr viel mehr und so viel leistungsfähiger. Es beginnt damit, dass alle das eine gemeinsame Ziel kennen und vor Augen haben und sich darüber bewusst sind, dass sie es nur gemeinsam erreichen können, wobei jeder versucht, sich mit seinen persönlichen Fähigkeiten bestmöglich einzubringen.
Aus dem Bewusstsein für die Abhängigkeit von der Arbeitskraft und den Skills der anderen resultiert eine gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung, die zu einem offenen, konstruktiven und vertrauensbildenden Umgang miteinander und mittelbar zu einem „Wir“-Gefühl führen kann.
Wann immer Personen sich über ihre Kollegen beklagen, sie danach fragen, ob etwas überhaupt Ihre Aufgabe sei oder was sie persönlich davon hätten, sind sie noch weit von diesem Zustand entfernt. Wann immer eine Gruppe in der Lage ist, sich weitgehend selbständig zu koordinieren, sich gegenseitig Transparenz über den Fortschritt zu verschaffen, engagiert mitzudenken, ob das Vorgehen noch zum Ziel passt, von den anderen Hilfe anzufordern, ebenso wie ihnen Hilfe anzubieten und im Notfall auch für sie einzuspringen, desto leistungsfähiger ist sie bereits. Im Sinne von 1+1 ist gleich 3, 4 oder sogar 5.
Eine Gruppe, die auf solche Weise zusammenarbeitet, verfügt automatisch über starke persönliche Beziehungen, die sich als Nebenwirkung der gegenseitigen Wertschätzung, Unterstützung, offenen Kommunikation und gemeinsamen Erfolgserlebnisse ausbilden. Auf dieser Basis kann die Gruppe auch bei Überraschungen und Krisen spontan und flexibel Lösungen finden und sogar aus Misserfolgen lernen.
Führung bei dieser Form leistungsfähiger Zusammenarbeit ist eine Art Meta-Management, die sich darauf reduziert, das Gesamtfunktionieren der Gruppe zu gewährleisten. Indem Informationen und Ressourcen von aussen herangebracht werden, das Ziel benannt und erklärt wird und darauf hingewirkt wird, Konflikte und Überraschungen miteinander zügig zu lösen.
Wer sich – unerwartet oder ungewollt – in einer zerstückelten Zombizusammenarbeit wiederfindet, spricht am besten stets und mit jedem über das gemeinsame Ziel, ermutigt seine Kollegen zur gemeinsamen Aufgabenlösung, bietet ihnen Hilfe an und bittet sie bei Schwierigkeiten um ihre Unterstützung. Sobald das Schule macht, wird der Übergang zu wahrer Zusammenarbeit möglich.
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