Wir leben in Zeiten, in denen Angst gezielt eingesetzt wird, um gute Geschäfte zu machen. Sei es, dass Politiker uns mit Angst vor dem Iran und Nordkorea füttern. Sei es die Beratungsbranche, die uns mit der Androhung von Millionenbußgeldern ihre Dienstleistungen rund um die DSGVO nahelegt. Seien es Philosophen und Vordenker (neudeutsch: Influencer), die behaupten, dass uns mit fortschreitender Automatisierung Massenarbeitslosigkeit droht und sogar die Arbeit ausgehen wird. Weshalb wir dann von einem bedingungslosen Grundeinkommen leben werden. Oder die Medien, die wie die Wirtschaftswoche vermelden, der Mittelstand verschlafe die Digitalisierung. „Fear sells“ und damit ist „Fear“ das neue „Sex“ der medialen Erregungsindustrie.
Stellen wir uns mal folgende Schlagzeile vor „Minister Niklas warnt vor hoher Arbeitslosigkeit. In den nächsten 50 Jahren werden 87% aller Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und damit 21% aller Arbeitsplätze wegfallen!“ Wilhelm Niklas, CSU, war Landwirtschaftsminister im ersten Kabinett Adenauer. Ok, das sind fake news. Aber von heute aus betrachtet ist das die Realität. Und ähnelt ziemlich den Schlagzeilen, die wir heute lesen: Bis 2030 sollen 50% aller Arbeitsplätze wegfallen. Genaugenommen haben sich die Beschäftigungschancen mit unseren Bedürfnissen, der technischen Entwicklung und den Rahmenbedingungen schon immer verschoben. Wenn auch nie so stark wie in den letzten 50 Jahren und in der Landwirtschaft im Besonderen. Da sind 4,2 Mio. Arbeitsplätze entfallen, im Bergbau 535 Tausend, bei der Bahn in den zehn Jahren nach der Wiedervereinigung 500 Tausend. Aktuell befindet sich das Kreditgewerbe im Umbruch. Hier sind seit 1998 200 Tausend und damit ein Viertel aller Arbeitsplätze entfallen. Tendenz steigend.
Dieses Phänomen nannten wir früher „Strukturwandel“. Denn bei allen Arbeitsplatzverlusten ist die Gesamtzahl der Erwerbstätigen niemals zurückgegangen, sondern immer weiter gestiegen. Betrug ihre Zahl vor 50 Jahren noch 19,6 Mio., sind es heute 44,2 Mio. Wie ist das zu erklären? Dadurch, dass seit 1950 etwa 27 Mio. zusätzliche Jobs im Dienstleistungsbereich und 2,3 Mio. in der Industrie entstanden sind. Und was gibt es heute nicht alles für Dienstleistungen? Dyskalkulie-Therapeuten, Wundmanagement, mobile Massage, Hundeflüsterer, Reisebegleiter, Profiler, Erledigungen.de, die Behördengänge übernehmen, usw. usw… Computerlogbuch der Enterprise. Sternzeit 81316. Captain Kirk. Die Erde auf dem Weg in die Galaxie unbegrenzter Dienstleistungen. Denn jeder ist heute in der Lage, mit einer Homepage oder über Plattformen wie upwork oder twago seine besonderen Fähigkeiten zu vermarkten. Und das weltweit.
Und im Ergebnis hat uns allen das ungekannten Wohlstand gebracht. Der verstorbene schwedische Wissenschaftler Hans Rosling hat die Fakten eindrücklich zusammengetragen*: Im Jahr 1800 lebten 85% aller Menschen auf der Welt in extremer Armut. Auf diesem Niveau ging es weiter bis etwa 1966. 1998 waren es noch 29%, heute 9%. Ist das nicht unglaublich?
Und die aktuelle Phase des Strukturwandels, die nennen wir Digitalisierung. Was ist so besonders an ihr? Bemühen wir wieder die Zahlen Roslings: Das Internet verbindet inzwischen mehr als die halbe Menschheit, etwa 4 Mrd. Menschen. Ihnen allen steht das vorhandene Wissen der gesamten Menschheit zur Verfügung. Jederzeit. Und in Netzwerken und auf Plattformen tauschen sie sich aus und treiben den Fortschritt voran. Gemeinsam haben sie immer mehr Ideen, und das immer schneller. So wurden 2016 nicht mehr 119 wissenschaftliche Fachartikel im Jahr veröffentlicht, wie das noch 1665 der Fall war, sondern 2,6 Mio. Und immer mehr Produkte werden erdacht und ausprobiert, und das an verschiedenen Orten weltweit zur gleichen Zeit. Und die Globalisierung, der Entfall von Handels-, Rechts-, und Sprachbarrieren ermöglicht, dass in jedem Land der Welt das stattfindet, was dort besonders gut und kostengünstig hergestellt werden kann. David Ricardo** unlimited.
Global gesehen bedeutet das: Massenfertigung findet da statt, wo Arbeitskräfte billig sind, die Verhältnisse günstig und die Produktion wenig reglementiert ist. Beratung steht zunehmend im Wettbewerb zur Internetrecherche und persönliches Vertrauen wird durch soziale Bewertungsmechanismen oder Einkaufsversicherungen wie trusted shops ersetzt. Damit müssen wir uns fragen: Womit werden wir zukünftig Geld verdienen? Wofür sind die Bedingungen bei uns besonders gut? Bisher waren wir für gute Ideen zuständig, für Innovationen. Insbesondere im Maschinen- und Automobilbau.
Und zukünftig? Was müssen wir tun, damit das so bleibt? Und was wird zukünftig unsere Stärke sein? Werden wir die Projektfertiger? Die Problemlöser der Welt? Oder eine Softwareschmiede? Das wird die Frage sein. Entscheidend bleibt, dass über die Zahl der globalen Wirtschaftssubjekte, universelle Medien und Sprachen immer mehr Veränderung immer schneller stattfindet. Während wir früher in Ruhe schauen konnten, auf welchen Zug wir aufspringen können, fahren heute nur noch ICEs. Immer mehr. Ohne zu halten. Und sie werden immer schneller.
Und während wir früher rund um den Kirchturm unser sehr breites Produktportfolio vermarktet haben, ist es heute im Idealfall eine einzige Sache, die niemand so gut kann wie wir, und die verkaufen wir dann überregional, im besten Fall weltweit. Und standardisiert oder in wenigen Varianten. Und alle, denen dieser Wandel nicht gelingt, die werden angeknabbert: von Herstellern aus Schwellenländern, die die kurzlebigen Billigvarianten ihrer Produkte herstellen, von den Großen, die mit komfortablen Konfiguratoren unschlagbar billige und schnelle Varianten liefern. Oder es wird über das Internet einfach nur transparent, dass der Wettbewerber vom Nachbarkirchturm dasselbe kann. Und das günstiger.
Auch im Detail bedeutet das Veränderung, weil sich unsere Aufgaben verändern: alles, was wir regelmäßig machen, wird automatisiert und zukünftig von Maschinen oder den Maschinen unserer Dienstleister übernommen. Oder maximal zum Mindestlohn vergütet. Egal ob in Buchhaltung, Auftragsabwicklung oder Lager. Und überall da, wo wir unsere Einzigartigkeit ausleben und das tun, was nur wir können, werden wir in Einzelfertigung und Denkarbeit besondere Herausforderungen unserer Kunden lösen und irgendwas erstellen, was einzigartig ist. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, dass die meisten unserer Mitarbeiter mutig, kommunikativ, kreativ, verlässlich und vertrauenswürdig sein müssen. Und wem das gelingt, der wird auch gutes Geld verdienen.
Wenn wir dann sehen, welches die beliebtesten Berufe deutscher Jugendlicher sind, erkennen wir einen riesigen Entwicklungsbedarf unserer Bildungsinstitutionen und die Notwendigkeit für lebenslanges Lernen. Denn während immer noch 25 Tausend Jugendliche pro Jahr eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann beginnen, habe ich letzte Woche in Italien erstmals im Supermarkt am Automaten bezahlt (siehe das Bild zu diesem Beitrag). Aber ebenso, wie sich die Menschen bisher immer weiterentwickelt haben, wenn sie das mussten, wird das auch jedem von uns in der Zukunft gelingen. Es ist nur eine Frage der Geschwindigkeiten. Und da dürfen wir uns gemessen an den vorhandenen Studien gerne mal auf den Weg machen. Jetzt.
Und bei all dem, müssen wir da als Firmen mitmachen? Ja, müssen wir. Denn wir befinden uns mitten im großen Spiel der Frösche. Die Welt ist ein gigantischer Herd, mit hunderten von Kochplatten und Töpfen, die die verschiedenen Branchen symbolisieren. In jedem Topf sitzt ein Frosch im Wasser, das langsam wärmer wird. Und wir alle wissen, was über kurz oder lang mit jedem der Frösche passieren wird. Irgendwann wird für jeden der Tag kommen, an dem es heißt „game over“. Wir wissen nur nicht, wann das jeweils sein wird. Und bis dahin hören wir immer mal aus einem entfernten Topf einen Todesseufzer, gefolgt vom Ersatz des Topfes durch einen neuen.
Als wenn das nicht schlimm genug wäre, kommt noch etwas sehr Trügerisches hinzu, das mit der Gartner Hype Curve beschrieben wird. Nach dieser Kurve durchlaufen alle Innovationen dieselben Phasen von der guten Idee, über die übersteigerten Erwartungen, das Tal der Enttäuschung, den Pfad der Erleuchtung und schließlich das Plateau der Produktivität. Ein Beispiel, das Gunter Dueck in diesem Zusammenhang gerne bemüht:*** Im Oktober / November 2013 ist das 3D-Drucken ausgebrochen. Sofort wurde es gehyped. Acht Wochen später stellt man fest, man kann nur beige drucken. Für Blau muss man drei Tage putzen. Und knifflige Sachen gehen auch nicht. Und wie bekommt man die Stabilität in die Teile? Das wird schon gehen. Dann geht man in das Tal der Tränen. Immer wenn man schaut, was dahintersteckt, dann merkt man, das dauert noch. Während der Zeit üben die noch. Das ist immer das Problem mit der Innovation. Die Journalisten hypen das hoch. Acht Wochen später fragen die Journalisten nach. Dann heißt es, wir üben noch. Dann schreiben die Jounalisten, das geht eigentlich nicht. Und die etablierten Firmen sagen dann „seht Ihr, das geht gar nicht.“ Dann freuen sie sich. Und das tötet Ihre Firma.
Das heißt, irgendwann kommt ein Kobold zu unserem Frosch, sagt zu ihm „ey, ich bring Dich um“ und wirft dann ein brennendes Streichholz in den Kochtopf. Das erlischt und der Frosch denkt, haha, funktioniert nicht, habe ich doch gesagt. Und dann sind wir unserer Sache um so sicherer, während sich der Kobold weiter an unserer Herdplatte zu schaffen macht, und probiert und probiert. Und weil wir uns so sicher sind, bekommen wir dann gar nicht mehr mit, wenn er das Feuer zum Brennen bringt.
Danach steigt die Temperatur unmerklich, ohne dass wir das als bedrohlich wahrnehmen. Wir verlieren erst einmal 10 bis 20% Umsatz: Es wird ruhiger, einseitiger oder kleinteiliger, Kunden kommen nur noch für einzelne Produkte zu uns bzw. in unseren Online-Shop. Sie konfrontieren uns tagtäglich mit kürzeren Lieferzeiten oder günstigeren Preisen, die sie woanders gesehen haben. Mitunter von Firmen, deren Produkte mit unseren gar nicht vergleichbar sind. Wir geben bedeutende Nachlässe oder sie bestellen direkt im Internet bzw. beim Hersteller. Neukunden und Gelegenheitskäufer werden zur Ausnahme, Stammkunden dominieren das Geschäft. Diese wünschen sich, dass wir zum Produkt auch noch eine Veredelung oder einen Bringdienst organisieren, Extrabratwürste, die wir anstrengend finden und als nicht lohnend ablehnen. Wir liefern uns einen erbitterten Preiskampf mit den üblichen Marktbegleitern um die verbliebenen Aufträge. Im Ergebnis verlieren wir einen guten Teil unserer Marge. Und hoffen, dass es vorbeigeht. Aber es wird immer schlimmer…
Und dann, wenn der Kobold so richtig in Fahrt gekommen ist, im Moment unseres Todes, dann merken wir es und denken, $#%-*$$-, hätten wir nur….
Wie gehen wir jetzt mit der permanenten Innovation am besten um? Was müssen wir tun? Zum einen automatisieren. Wir müssen uns immer fragen, ist das, was wir tun, noch zeitgemäß. Schauen Sie nach Apps. Für Zeiterfassung, Fakturierung, demnächst auch Steuerberatung. Für immer mehr Dinge sind bereits automatisierte Lösungen in der Entwicklung oder befinden sich bereits auf dem Pfad der Erleuchtung.
Und sonst? Andauernd begegnen wir Menschen, die uns sagen, es werde alles gut, wenn wir nur ihre neuesten „Erfolgsmethoden“ zum Einsatz bringen. Smoothies für alle. Juhu. Widerstehen Sie ihren Versprechungen, denn die Zukunft gehört nicht den Kopien, sondern der Authentizität und Einzigartigkeit. Einfach nur Lösungen aus Großunternehmen oder von der Softwareindustrie nachzuahmen, um ebenso groß oder erfolgreich zu werden, ist ein Trugschluss. Reden Sie einfach wieder täglich mit ihren Mitarbeitern, trotz aller Hektik, bieten Sie ihnen Orientierung und ermutigen Sie sie zur Zusammenarbeit. Das wirkt schon Wunder.
Lassen Sie sich nicht von billigem Geld oder einer aktuellen Auftragsflut blenden. Oder von der Vielfalt Ihrer Möglichkeiten lähmen. Beginnen Sie einfach, Zeit zu investieren, gute Ideen zu haben. Und auszuprobieren. Dafür nehmen Sie sich am besten Zeit, zu diskutieren. Mit Ihren Kunden. Heißen ihre ausgefallene Wünsche willkommen, erfüllen sie und schauen, was sie dafür zu zahlen bereit sind. Sprechen Sie mit Lieferanten, bestehenden und solchen mit neuen Materialien oder Verfahren. Kooperieren Sie mit komplementären Dienstleistern. Und finden Sie heraus, was genau Sie besonders gut können. Das ist das, wo Sie aufblühen, mit Haut und Haar mitdiskutieren und da, wo Ihre Kunden Ihre Preise gerne zahlen. Ohne zu feilschen. Überlegen Sie sich, wie Sie das einem immer größeren Kundenkreis zugänglich machen können.
Wenn Sie all das tun, lichtet sich der Nebel rund um die Digitalisierung und Sie reiten bald selber die Welle und brauchen keine Angst mehr zu haben. Vor der Innovation. Denn vergessen wir nicht, mit dem Maß der Bedrohung steigt ebenso die Zahl der Chancen an. Wir müssen nur beherzt zugreifen. Das heißt fokussiert bleiben und mutig sein.
* vgl. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/die-welt-wird-immer-besser-32-gute-nachrichten-15524076.html
** David Ricardo, Principles of Political Economy and Taxation, 1817
*** zitiert nach einem Vortrag beim Kongress für Einzelfertiger des ife im Februar 2018
Dieser Beitrag entstand anlässlich eines Vortrages zum gleichen Thema beim Beirat der Oldenburgischen IHK am 5.6.2018.