Der Fluch der Zuständigkeit

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Wir seh­nen uns nach geord­ne­ten Bah­nen. Des­halb bemü­hen wir uns, für jede Art von Auf­ga­ben fest­zu­le­gen. wer die­se immer über­neh­men möge – kurz – wer für sie zustän­dig ist. Und in Zei­ten, in denen wir die Arbeits­tei­lung immer wei­ter vor­an­trei­ben, wer­den unse­re Fest­le­gun­gen immer klein­tei­li­ger und dif­fe­ren­zier­ter. Zum einen wol­len wir damit schnel­ler sein, zum ande­ren Ori­en­tie­rung schaf­fen, damit jedem klar ist, wem er wel­che Auf­ga­be zu geben hat. Man­che mei­nen sogar, dass es ihnen mit nie­der­ge­schrie­be­nen Zustän­dig­kei­ten leich­ter fal­le, kon­kre­te Arbeits­leis­tun­gen ein­zu­for­dern, im Zwei­fel auch per Abmahnung.

Die gro­ße Ver­hei­ßung fes­ter Zustän­dig­kei­ten ist, dass auf­tau­chen­de Auf­ga­ben gar nicht mehr dis­ku­tiert oder vom Chef über­tra­gen wer­den müs­sen, son­dern von allei­ne ihren Weg durchs Unter­neh­men fin­den. Und dabei Dank Spe­zia­li­sie­rung oben­drein noch schnel­ler erle­digt wer­den. Und weil das inzwi­schen gewis­ser­ma­ßen als orga­ni­sa­to­ri­sches Grund­ge­setz gilt, müs­sen „feh­len­de Zustän­dig­kei­ten“ gern als Kri­sen­ur­sa­che und der Ruf nach „geklär­ten Zustän­dig­kei­ten“ als Lösung her­hal­ten. Jedoch in bei­den Fäl­len weit gefehlt. Die Fest­le­gung von Zustän­dig­kei­ten, d.h. die fes­te Zuord­nung von Auf­ga­ben zu Men­schen oder Stel­len, ist immer schädlich.

Die offen­sicht­lichs­te Pro­ble­ma­tik ist, dass sich immer dann, wenn Mit­ar­bei­ter mit fes­ten Auf­ga­ben nicht da anwe­send sind – sei es aus gesund­heit­li­chen Grün­den oder wegen ihres Urlaubs (was sich nicht sel­ten zu 20% aller Arbeits­ta­ge sum­miert) – über­ge­ord­ne­te Instan­zen müh­sam um eine Ver­tre­tung bemü­hen müs­sen, oder die Auf­ga­ben für die Zeit der Abwe­sen­heit ein­fach lie­gen blei­ben, mit allen ope­ra­ti­ven Kon­se­quen­zen für Durch­lauf­zeit (Kos­ten) und Kundenzufriedenheit.

Ähn­li­che Erfah­run­gen machen wir dann, wenn neu­ar­ti­ge bzw. erst­mals auf­tre­ten­de Auf­ga­ben auf­tau­chen. Natur­ge­mäß fin­det sich dann kei­ner, der bereits als Zustän­di­ger benannt wor­den ist. Wie­der müs­sen sich Vor­ge­setz­te müh­sam auf Ver­hand­lungs­tour machen, bis sie jeman­den fin­den, den sie davon über­zeu­gen kön­nen, einen zusätz­li­chen Hand­schlag zu über­neh­men. Und die Zahl der neu­en Auf­ga­ben und damit der Ver­hand­lungs­fäl­le nimmt in Zei­ten hoher Dyna­mik immer wei­ter zu.

Und wie wir­ken sich fes­te Zustän­dig­kei­ten auf die Mit­ar­bei­ter aus? Wo immer wir Abgren­zung säen, müs­sen wir uns nicht wun­dern, wenn wir auch Abgren­zung ern­ten. Sei es dadurch, dass Mit­ar­bei­ter die Kon­trol­le über bestimm­te Din­ge ein­for­dern („das darf nur ich, dass ist mei­ne Auf­ga­be“), sei es, dass sie ande­re Auf­ga­ben ableh­nen („dafür bin ich nicht zuständig“).

Ihre Ableh­nung ern­ten wir zu Recht: Denn mit fes­ten Zustän­dig­kei­ten wen­den wir prak­tisch das Push-Prinzip an, was bei Auf­ga­ben mit unter­schied­li­cher Län­ge und schwan­ken­dem Anfall unwei­ger­lich dazu führt, dass die Mit­ar­bei­ter mit der Zeit in die Bestands­fal­le gera­ten und einen gro­ßen Teil ihrer Arbeits­zeit ver­schwen­den. Wes­halb sie irgend­wann aus­schließ­lich über­las­tet sind. Das bekom­men wir dann in Form ermü­den­der Dis­kus­sio­nen über Über­stun­den und zusätz­li­ches Per­so­nal zu spüren.

Noch schlim­mer ist die ope­ra­ti­ve Wir­kung der wie­der­keh­ren­den Auf­ga­ben­er­le­di­gung durch die immer sel­ben Per­so­nen, denn sie lässt Inno­va­ti­on unwahr­schein­lich wer­den und ver­hin­dert gleich­zei­tig die Wei­ter­ent­wick­lung der Mit­ar­bei­ter. Damit sind fes­te Zustän­dig­kei­ten die Kern­ur­sa­che für unge­nutz­tes Poten­ti­al und wir wer­den nie­mals her­aus­fin­den, wozu jemand tat­säch­lich fähig ist.

All das über­wiegt die ver­meint­li­che Sicher­heit und die viel­leicht zehn Pro­zent der Zeit bei wei­tem, die wir mit fes­ten indi­vi­du­el­len Zustän­dig­kei­ten (theo­re­tisch) gewin­nen kön­nen. Schlim­mer sogar, fes­te Zustän­dig­kei­ten wir­ken über­all dort, wo das Arbeits­vo­lu­men schwankt, wo neu­ar­ti­ge Auf­ga­ben hin­zu­kom­men kön­nen oder wo die zügi­ge Bear­bei­tung der Auf­ga­ben erfor­der­lich ist, wie ein Fluch, der die Pro­duk­ti­vi­tät zerstört.

Deut­lich bes­ser geeig­net sind Tandem-, Team­zu­stän­dig­kei­ten oder noch viel all­ge­mei­ne­re Ange­bots­for­men wie Markt­plät­ze der Auf­ga­ben. Bei die­sen Lösun­gen wer­den Zustän­dig­kei­ten so varia­bel wie mög­lich gehal­ten und ent­ste­hen erst in dem Moment kon­kret, in dem jemand eine bestimm­te Auf­ga­be über­nimmt. Dafür braucht es Prin­zi­pi­en, nach denen Grup­pen von Men­schen aus einem Ange­bot von Auf­ga­ben die­je­ni­gen aus­wäh­len, die sie bes­ten­falls tun wol­len. Und Prin­zi­pi­en, die gewähr­leis­ten, dass alle mit­ma­chen. Aber das lohnt sich, denn wir spa­ren uns vie­le unnö­ti­ge Dis­kus­sio­nen und Ver­schwen­dung, die Arbeit bleibt immer im Fluss, die Men­schen sind moti­viert und kön­nen sich wei­ter­ent­wi­ckeln. Und wir sind zusam­men end­lich produktiv.

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