Im Ostwestfälischen lernte ich vor kurzem eine Unternehmerfamilie kennen. Wir sprachen über unsere Kinder und die Mutter mit russischen Wurzeln erzählte mir wie selbstverständlich, dass ihr 12jähriger Sohn seine drei Kilometer zur Schule laufen müsse. Jeden Tag. Kurz blitzte es in mir auf: „Ist das nicht verboten? Muss man das dem Jugendamt melden?“ Solche Gedanken wollen bestimmt auch die Eltern der Mitschülerin meiner Jungs vermeiden, die ihre 12jährige Tochter jeden Morgen die 300 m zum Schulbus begleiten und dort warten, bis sie eingestiegen ist. Dabei sind wir hier nicht in Köln Kalk, sondern in der Norddeutschen Kuschelebene.
Gilt die besondere Fürsorge für unsere Kinder bereits als normal, begegnen mir zuletzt immer mehr Dinge, über die ich mich nur wundern kann: Geschäftsführer, die sich um ihre persönliche Entfaltung kümmern, statt mit aller Kraft an der Weiterentwicklung ihrer Firma zu arbeiten. Andere erzählen mir, sie wollen endlich weniger oder kein Risiko mehr haben. Ruhig und schön gleichmäßig soll es zugehen. Oder sie liebäugeln im besten Alter mit dem Rückzug ins Privatleben bzw. sagen „…und bis 65 arbeite ich nicht.“ Zur Zeit kann man ja seine Firma für gutes Geld verkaufen. Wieder andere träumen davon, nur noch 4 Tage die Woche zu arbeiten. Und Mitarbeiter reden verbreitet schon von der 3-Tage-Woche. Das wird nur noch übertroffen von unseren Kindern, die später alle ihr Geld mit Computerspielen verdienen und dabei Lamborghini fahren wollen. Und von der verrückten Sehnsucht nach dem bedingungslosen Grundeinkommen.
Das ist nicht nur Humbug, weil es unfinanzierbar ist. Sondern auch, weil wir uns seit Jahrzehnten im Umbau befinden und bereits Millionen Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich geschaffen haben, die die wegfallenden Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, im Bergbau, in der Industrie, in Banken und Druckereien ersetzt haben. Warum sollten wir das nicht fortsetzen können? Die Frage ist doch nur: Ist unser Bildungssystem gut genug und sind wir von unserer Mentalität flexibel genug, darauf vorbereitet zu sein oder uns rechtzeitig anpassen zu können? So dass wir die kreativen Arbeitsplätze in Deutschland halten können, die uns unser gewohntes Einkommensniveau verschaffen. Aber selbst, wenn wir das nicht schaffen, dann wandern wir halt aus. Nach Amerika, Asien oder gleich nach Afrika, wo die Industrie-Arbeitsplätze der Zukunft sind. Was allerdings nur dann geht, wenn sie uns nicht mit Zäunen an der Einwanderung hindern.
Abgesehen davon, dass wir uns wünschten, für unser Nichtstun bezahlt zu werden. Warum sind wir bereit, auf Geld zu verzichten und mit zwei Tagen Arbeit pro Woche auszukommen? Was wollen wir mit all der Zeit anfangen? Unsere Mobilfunk-Flatrate sprengen? Meditationsweltmeister werden? Oder unsere Hunde zu Tode ausführen?
Bedenken wir bitte, dass wir uns mit allem, womit wir uns im Leben gut auskennen wollen, beschäftigen müssen. Grundsätzlich und jeweils dann, wenn wir etwas Neues anfangen. Das bedeutet, dass wir dafür Zeit investieren. Und wann immer wir das tun, entscheidet das Ausmaß darüber, wo wir im Wettbewerb mit anderen landen werden. Warum wollten wir freiwillig darauf verzichten, der Beste zu sein? Was ist daran so verheißend, jemandem in Hude, Helsinki oder Hanoi den Vortritt zu lassen, nur weil er sich nicht scheut, jede freie Minute in seine Passion oder sein Geschäft zu stecken? Und haben wir vergessen, dass jede Meisterschaft voraussetzt, sich 10.000 Stunden mit etwas beschäftigt zu haben? Wenn er seit jeher nur zwei Tage pro Woche trainiert hätte, in welchem Alter würde Lionel Messi dann auf dem Höhepunkt seines Könnens angekommen sein? Mit 70 Jahren? Was würde ihm das im Angesicht seiner köperlichen Verfassung dann noch nützen? Wir jedenfalls hätten nie von ihm gehört.
Hören wir doch auf, uns freiwillig von der Bühne des Lebens zu verabschieden: Wenn wir unsere Welt im rasanten globalen Wandel mitgestalten wollen, dann geht das nur dadurch, dass wir unsere Ziele mit eben derselben Leidenschaft und demselben bedingungslosen Zeiteinsatz verfolgen wie früher. Nur doppelt so stark….
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