ERP-Systeme sollen unsere betrieblichen Aufgaben koordinieren. Das versprechen wir uns von ihnen und erzählen uns munter gegenseitig, dass dem auch so sei. Doch die Realität sieht anders aus. Ich kenne Unternehmen, die haben sich ein SAP zugelegt, um ihm ausschließlich ihre Buchhaltung anzuvertrauen. Das sieht gut aus, ist aber Milchstraßen von dem entfernt, was mit konsequenter Nutzung möglich wäre. Während bei Massenfertigern und -händlern wenigsten die Haupt-Produktionsabläufe vom ERP-System gesteuert werden, ist die effektive Systemnutzung bei kleineren Firmen immer die Ausnahme. Das allermeiste Geschehen findet daneben statt, wird mündlich oder per E-Mail transportiert und in Listen, Köpfen und auf Post-It‘s zwischengespeichert oder auch vergessen.
Aber woran liegt das? Daran, dass die Daten oft nicht richtig sind und mühsame Umwege erforderlich werden? Dass wir Ausnahmen zulassen, wo keine vorgesehen sind? An Überraschungen aus der Umwelt, die alles durcheinanderbringen und die wir nicht konsequent genug ausschließen? Daran, dass sich in der Einzelfertigung eine standardisierte Planung und Erfassung aller Auftragsdetails überhaupt nicht lohnt? Alles valide, aber die Hauptursache liegt viel tiefer.
Die allerwichtigste Aufgabe des ERP-Systems ist, die Auftragsmenge mit den vorhandenen Kapazitäten abzugleichen (Enterprise Ressource Planning) und Ungleichgewichte zu beseitigen. Nur dann kann Fluss entstehen. Dass ERP-Systeme das nur unzureichend tun, kann jeder erkennen, der mal tiefer reinschaut: Wo immer Rückstände möglich sind und praktisch auftauchen (und das ist die Regel!), werden an irgendeiner Stelle zu irgendeinem Zeitpunkt System und Realität auseinanderfallen müssen. Bei Massenfertigern mag eine verspätete Charge mitunter nicht kritisch sein, bei Kleinserien- und Einzelfertigern wird eine Verspätung erheblichen Sonderaufwand verursachen.
Die zweite Ursache ist noch viel fundamentaler: Im ERP werden nur die betrieblichen Hauptaufgaben geführt. Die wir am Markt verkaufen und für die es sich lohnt, standardisierte Arbeitspläne zu schreiben. Daneben gibt es aber eine Menge interne Aufgaben wie Ziel- und Mitarbeitergespräche, Verbesserungs- oder Entwicklungsprojekte oder Jour Fixe. Dazu kommen noch all die Rückfragen, Sonderlösungen (= in der Regel Ausnahmen vom Standard) und Dokumentationsaufgaben. Je weiter wir uns von der Hauptaufgabe entfernen (durchaus auch in Ebenen gedacht) und je dynamischer das Geschäft wird, desto mehr (noch-)nicht-Kundenauftrags-bezogene Aufgaben kommen dazu.
Jetzt ist die naheliegende Idee beispielsweise von Task-Management-Systemen, diese Aufgaben ebenfalls in einem System zu verwalten. Einstellen, hin- und herschieben, erledigen. Naheliegend, oder? Ich kenne einige Unternehmen, die mit solchen Systemen experimentieren. Dagegen muss man zwei Einwände vorbringen: zum einen wird es immer Aufgaben geben, die so klein oder kurz sind, dass es sich gar nicht lohnt, sie aufzunehmen. Oder die Erfassung muss so komfortabel wie möglich sein, mit Spracheingabe ohne überhaupt ein Gadget oder einen PC in die Hand zu nehmen.
Aber das ist noch nicht alles: Es muss auch der oben bereits erwähnte Hauptpunkt gelöst werden. Kapazität und Aufgaben müssen in Einklang gebracht werden. Und das führt uns direkt zu der Frage, was tatsächlich das führende Element jedes Betriebes ist. Die Visionen des Unternehmers? Die Jahresziele? Die Absatzplanung oder der Auftragsbestand? Alles falsch. Wertschöpfung wird – solange sie nicht vollautomatisiert ist – von Menschen erbracht. Diese sind von Zeit zu Zeit gar nicht da, weil sie krank oder im Urlaub sind. Und sie haben neben den skizzierten betrieblichen Aufgaben noch allerhand private Aufgaben, Verbesserungsideen oder Weiterbildung im Kopf. Und ihre Kinder spülen allerhand Überraschungen in ihr Leben. Wieviel unsere Mitarbeiter an unseren Kundenaufträgen arbeiten und wieviel sie schaffen, hängt von all diesen Faktoren ab. Wann immer wir sie vernachlässigen, werden betriebliche Aufgaben später erledigt, als das nötig wäre. Und damit Stress, Konflikte und Verschwendung entstehen, die wir tagtäglich aus unseren Firmen kennen.
Funktionierende Systeme müssen deshalb zuallererst nicht vollintegriert sein, sondern von der wertschöpfenden Ressource her denken, von den Mitarbeitern. Think upside down oder bottom up, wie immer man will. Das bedingt nicht weniger als eine komplette Umkehr von allem, was bisher gedacht wurde: Solche Systeme müssen so vertrauenswürdig sein, dass Mitarbeiter ihnen auch ihre privaten Aufgaben anvertrauen. Sie müssen bequem und überall verfügbar sein, damit die Menschen ihre Aufgaben lieber darin erfassen, als Listen oder Post-It’s zu schreiben. Und sie müssen in der Lage sein, den Kapazitätsabgleich zu ermöglichen, um den Fluss der Aufgaben aufrecht zu halten. Mit Hilfe von Lean-Prinzipien, mit Zeitschätzung, der Begrenzung von Beständen und dem Verzicht darauf, Aufgaben zuzuweisen (Push). Mit Lope haben wir das erste System dieser Art geschaffen. Und wo Lope steht, da werden sich alle weiteren Überlegungen anschließen.
Bild: unsplash.com, Max Nelson