Es wird immer schwieriger, Herr unserer Aufmerksamkeit zu bleiben. Werbetreibende, ihre Kanäle und ihre Botschaften werden immer mehr. Dazu kommen noch die Dinge, die uns persönlich beschäftigen: Der Streit, den wir am Morgen hatten, die Aufgabe, die wir gestern nicht lösen konnten, der Fehler, den wir gerade gemacht haben. Das Leben, ein großer Kessel Ablenkung.
In diesem Umfeld ist es natürlich, dass wir bei der Erledigung unserer Aufgaben nicht so aufmerksam sind oder sein können, wie wir das sollten. Und je höher das Maß der Ablenkung, desto größer ist die Gefahr, Fehler zu machen. Die nicht selten schmerzhafte Konsequenzen für Geldbeutel oder Gesundheit nach sich ziehen. Für gewöhnlich reagieren wir dann ganz menschlich: Wir hoffen, dass der Fehler nicht rauskommt, vermeiden es, darüber zu reden, schieben die Schuld auf andere, vielleicht trauen wir uns sogar, zuzugeben, dass wir hätten aufmerksamer sein müssen. Aber nichts von alledem ändert etwas am entstandenen Schaden.
Weil Fehler so teuer, schmerzhaft und oft auch unangenehm sind, versuchen wir, sie zu vermeiden. Allerdings können wir schon physiologisch nicht ständig im höchsten Maß aufmerksam sein, um bloß jeden Fehler zu machen. Der entsprechende Energiesparmodus funktioniert so, dass wir von Kindesbeinen an lernen, unsere Aufmerksamkeit und Vorsicht entsprechend dem möglichen Schadenmaß zu steuern. Routinetätigkeiten, die wir im Unterbewusstsein sicher erledigen, wie z.B. Zähneputzen, Geschirrspülen oder Autofahren, benötigen kaum bewusster Aufmerksamkeit. Anders sieht es mit den folgenden Kategorien aus, die wir entsprechend dem möglichen Schaden in absteigender Folge erwähnen wollen:
1. Tod
Wenn Fehler zu einer Vergiftung, einem Stromschlag oder sonstigen Konsequenzen mit Todesfolge führen könnten, lassen wir maximale Aufmerksamkeit walten. Denn Tod ist ebenso bedauerlich wie irreversibel. Genau deshalb sind auch die Zertifizierungen, Kontrollen und Optimierungen in der Luftfahrt so umfangreich und ist das Fliegen heute so sicher geworden. Ähnliches gilt für Absicherungsmaßnahmen für andere Fahrzeugarten, in der Pharmaindustrie oder der Lebensmittelwirtschaft.
2. Verletzung
Hierunter fallen alle Umstände, die zwar nicht tödlich sind, aber die Gesundheit beeinträchtigen, wie Stolperfolgen, Schnittverletzungen oder Ähnliches. Denn die Folgen solcher Fehler sind mindestens Schmerzen und Ausfälle, nicht selten auch langfristige Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit oder Lebensqualität.
3. Sachschaden, nicht ersetzbar
Unikate mit Erinnerungswert, Kunstgegenstände, aber auch ältere Materialien, die nicht mehr beschaffbar sind oder feste Bauwerke können im Einzelfall physikalisch nicht ersetzbar sein. Dann müssen Schäden notdürftig verkleidet werden oder führen dauerhaft zu ästhetischen Mängeln. Egal, was wir zur Kompensation bezahlen wollen, der Schaden wird ein nachhaltiges Ärgernis bleiben.
4. Sachschaden ersetzbar oder reparierbar
Darunter fallen Fehler, die irgend einen Gegenstandes zerstören. Ist der Vorgang nicht versichert, müssen wir Ersatz beschaffen und bezahlen, uns kümmern, Zeit einsetzen und Wege zurücklegen. Und das zweimal, zur Klärung und bei Eintreffen des Ersatzgegenstandes.
5. Zusatzaufwand
Die kleinstmögliche Schadenskategorie ist reiner Zeitbedarf, weil etwas nochmal angefasst wird. Wenn beispielsweise ein Ergebnis nachgearbeitet werden muss. Das kostet verschmerzbar wenige Sekunden bis einige Minuten, geht aber recht schnell auch in Kategorie 4 über, sobald neue Gegenstände oder zusätzliches Material benötigt werden.
Praktisch unterbewusst bewerten wir jeden Fall und sind entsprechend vorsichtig: Herdplatte, Kategorie 2. Spülen von Weingläsern, Kategorie 4. Plize pflücken, Kategorie 1. Fahren bei Glatteis, Kategorie 2. Und obwohl das so natürlich ist, lassen sich diese Prinzipien nur schwerlich auf unsere Arbeitsumgebungen übertragen. Da herrscht vielmehr ein natürlicher Widerspruch: Zum einen erwartet der Arbeitgeber immerfort höchste Aufmerksamkeit, weil ja der Mitarbeiter auch für jede Minute seiner Zeit gleichermaßen bezahlt wird. Gleichzeitg bekommen die Mitarbeiter gerade die monetären Konsequenzen der Kategorien 3 bis 5 überhaupt nicht persönlich zu spüren. Ok, der Chef ist sauer, der Kunde vielleicht auch, aber was wollen sie groß tun?
Um die betrieblichen Verhältnisse an die privaten Verhaltensweisen anzugleichen, gibt es nur drei Möglichkeiten:
- Es gelingt, die Mitarbeiter mündlich davon zu überzeugen, wie fehlerfreie Arbeit der Gesamtheit und indirekt auch ihnen selber dient. So dass sie sich dafür interessieren, gerade dann besondere Aufmerksamkeit walten zu lassen, wenn es darauf ankommt.
- Es wird eine enge Verknüpfung zwischen Mitarbeiterinteressen und Fehlerkosten durch positive (Lob, Prämien oder Geschenke bei Fehlerfreiheit) oder negative Mechanismen (der Mitarbeiter muss seinen Fehler in seiner Freizeit beseitigen – Anmerkung: das gibt es in kleinen Firmen tatsächlich) hergestellt.
- Durch Standardisierung der Arbeit und Erhöhung der Routinetätigkeiten wird der Anspruch an die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter abgesenkt. Das birgt im Gegenzug die Gefahr, dass die Arbeit als langweilig wahrgenommen wird.
Egal welchen Weg sie wählt, langfristig muss sich jede Firma um die Vermeidung von Sachschäden und Zeitverlusten kümmern und den Fehlerteufel besiegen, sofern sie nicht die Fehlerkosten konsequent auf die Kunden oder Mitarbeiter abwälzen will oder kann.
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