Im Leben wimmelt es von Modewellen. Letztes Jahr hatte ich das Gefühl, dass jedermann immerzu von „Augenhöhe“ geredet hat. Ein Begriff, von dem ich behaupten würde, dass er bis Ende 2016 im Business-Chinesisch überhaupt nicht geläufig war. Dieses Jahr höre ich die Leute wieder andauernd von Bring- und Holschuld reden. „Echt, gibt es die beiden immer noch?“ habe ich beim ersten Mal gedacht. Zugegeben, ich bin selten im Konzernumfeld unterwegs (weil ich big ziemlich ugly finde), und vielleicht waren die beiden hässlichen Gesellen dort nie wirklich verschwunden. Aber ich persönlich hatte bereits darauf gehofft, als ich ihnen Anfang des Jahrtausends erstmals in einer Konzernzentrale begegnet bin.
Das liegt schon daran, dass der Begriff Schuld wenig hilfreich ist, weil – wie Niels Pfläging früher gerne sagte – mit der Schuld das Denken aufhört. Oder ist genau das gewollt? Dass wir nicht weiter drüber nachdenken? Dann machen wir das doch mal anders und fragen nach: Was sagen uns die zwei Begriffe überhaupt? Was ist sie denn jetzt, unsere Kommunikation, eher das eine oder das andere? So rein physikalisch gesehen und ganz ohne schwarzen Peter?
Das ist eigentlich ganz einfach: Neue Ereignisse sind immer die Bringschuld dessen, der Kenntnis davon erhält, der sie bedeutsam findet und ein Kondensat davon seinen Kollegen zugänglich macht. Wir anderen wissen ja gar nicht, wann wir danach fragen müssten. Und unser vorbeugendes Holen oder Nachfragen wäre schlichtweg Verschwendung. Und weil wir das alle ganz genau wissen, tun wir es auch nicht:
Mitarbeiter: Hömma, Chef, gibt es was Neues?
Chef: Ich weiß nicht, was meinst Du denn genau?
Mitarbeiter: Keine Ahnung, ich frag nur wegen meiner Holschuld…
Eine Holschuld hingegen ist Kommunikation dann, wenn ich Bekanntes suche, z.B. bei einer Aufgabe nicht weiterkomme, wenn ich eine Entscheidung treffen will, für die mir noch Informationen fehlen, oder wenn ich beim Beziehungsaufbau mehr über meine Kollegen erfahren will. Diese Informationen könnten mir die Wissenden zwar jederzeit ungefragt vorsorglich auf die Nase binden. Tun sie aber vernünftigerweise nicht, weil das nur genau dann keine Verschwendung ist, wenn ich mich für die Information interessiere und sie auch verwende oder zumindest abspeichere.
Und auch wenn das alles physikalisch wasserglasklar ist, hören wir Führungskräfte immer wieder von Bring- und Holschuld sprechen. Meist dann, wenn ihre Mitarbeiter Neues nicht gewusst haben und – oh Wunder – im Nichtwissen völlig orientierungslos mit den Schultern gezuckt oder überhaupt nicht das gemacht haben, von dem die Chefs von jetzt aus betrachtet behaupten, dass es das Richtige gewesen wäre.
Mit ihren trotzig daher gemurmelten Formulierungen „Information ist auch eine Holschuld“ rechtfertigen sie dann nachträglich ihr Unterlassen. Da sie aber niemanden jemals vorsätzlich zur Verschwendung auffordern würden, heißt das übersetzt, „ich habe das zwar verpennt, aber jetzt wo ich mich ärgere, dass es schief gegangen ist, wünschte ich mir, Du würdest auch hellsehen können und hättest mich im richtigen Moment gefragt.“
Jetzt, wo uns das klar ist, können wir als Mitarbeiter das mühsame Geringe um Bring- und Holschuld beim nächsten Mal einfach weglächeln. Und die beiden damit ihrem endgültigen Dahinscheiden ein Stück näher bringen.
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