In den vergangenen Wochen habe ich mit vielen Menschen daran gearbeitet, das Ausmaß ihrer täglichen Störungen und Unterbrechungen zu reduzieren. Ein weiterer faszinierender Ausflug auf die Atomebene der Organisationsphysik. Dabei ist mir ein milliardenfach geübtes Verhalten aufgefallen, das eine der wesentlichen Verschwendungsquellen unserer Zeit darstellt. Wenn ich genau hinschaue, sind meine Überlegungen von solch fundamentaler Bedeutung, dass ich sie erneut in Form eines Gesetzes formulieren möchte. Doch zunächst die Hintergründe:
Wir denken ja sehr arbeitsteilig und obendrein immer arbeitsteiliger. Unser Fokus hat sich von „was ist bestenfalls zur Erledigung zu tun?“ komplett verlagert zu „wer ist eigentlich zuständig?“ oder „wem gebe ich das?“ Oft fragen wir uns das schon, bevor wir eine Aufgabe überhaupt richtig durchdacht haben. Und was bei immer gleichen Aufgaben funktioniert, beim Krabbenpulen, in der Keks- oder Autofabrik, wo jeder weiß, was er bekommt, was er zu tun hat und was er an wen weitergibt, führt bei teilweise oder komplett neuen Aufgaben tagtäglich zu Havarien und Verschwendung. Wir erkennen das an Missverständnissen, Rückfragen und Störungen.
Denn teilweise neue Aufgaben sind mindestens ein Stück weit erklärungsbedürftig. Wenn wir sie genauso achtlos weitergeben wie immer gleiche Aufgaben, ernten wir Verschwendung und Chaos. Wenn wir das mit unserer eigenen Erledigung vergleichen, entsteht dabei extremer zusätzlicher Aufwand:
- Wir müssen überlegen oder suchen, wer es tun könnte.
- Wir stören denjenigen, dem wir die Aufgabe geben, und er uns, wenn er uns das Ergebnis zurückgibt (zumindest dann, wenn wir das persönlich oder telefonisch tun)
- Wir müssen ihm die Aufgabe erklären, er uns das Ergebnis. Das bedeutet zweimal das Risiko, stille Post zu spielen.
- Wir müssen mit ihm verhandeln, bis wann die Aufgabe erledigt sein wird. Und weil wir uns nicht sicher sein können, dass es auch so kommt, führen wir selbst eine Aufgabe „bei XY nachhaken“. Das erhöht den globalen Aufgabenbestand und damit auch das Verschwendungsrisiko aus Beständen.
- Da die Aufgabe bei jeder Übergabe gefühlt „neu“ ist, started die Durchlaufzeit jeweils von neuem.
- Und mit zunehmender Entfernung zum Entstehungsort nimmt die Identifikation mit der Aufgabe ab, was sich auf die Erledigungsqualität niederschlagen wird.
Alle diese Effekte zusammen führen dazu, dass im Durchschnitt gilt:
Jede Weitergabe erklärungsbedürftiger Aufgaben verdoppelt den Aufwand.
Diese Formel kann uns helfen, zukünftig besser abzuwägen, ob wir eine Aufgabe besser selber erledigen oder ob wir sie weitergeben. Also tun wir das überhaupt nur noch, wenn wir sie gar nicht erledigen können, oder wenn der andere aufgrund seiner Übung doppelt oder dreimal so schnell ist (was bei neuen Aufgaben eher seltener vorkommen dürfte). Und wenn doch, dann achten wir peinlichst darauf, die Aufgabe mit höchster Sorgfalt zu erklären, und zwar so, als stünde dem Übernehmer ab diesem Moment nie wieder ein Ansprechpartner zur Verfügung.
Weiterhin achten wir darauf, dass möglichst alle Ansprechpartner in unserer Organisation bekannt sind, so dass alle Fragen direkt an diejenigen gerichtet werden können, die die Aufgaben auch erledigen. Dann erübrigen sich ganze Weitergabeketten, die heute das Geschehen dominieren. Und wenn eine Aufgabe an uns herangetragen wird, die wir nicht lösen können, dann machen wir uns bitte nicht selber auf die Suche, sondern lassen sich den anderen durchfragen. Dann führt er zwar am Ende vier Telefonate, aber wir haben nicht den achtfachen Aufwand aus drei hoch riskanten Weitergaben.
Wenn wir auf diese Prinzipien achten, können wir das Chaos, das heute in unseren Büros herrscht, deutlich zurückdrängen.
Bild: unsplash.com, The Poodle Gang