Häufig höre ich „meinen Leuten mangelt es an…, die müssen mehr…“ Dann folgt irgendwas Richtung besser oder produktiver werden. Das gilt insbesondere für die Kollegen in den Büros. Kein Wunder, denn wo immer wir einen arbeitenden Menschen für einen Tag begleiten, erleben wir zwischen 50 und 80% Verschwendung. Garantiert. Und das meint nicht die Dinge, die wir immer so offensichtlich diskutieren, Handy-Konsum, Papierbelege, Doppelablage, E-Mail-Flut und Co. Nein, nein, nein, die Probleme gehen viel tiefer.
Gehen wir ein paar tausend Jahre zurück, war alles viel einfacher. Produktivität war sehr direkt mit dem eigenen Wohlergehen verbunden. Großer Jagderfolg und gute Ernte gleich großes Ansehen und gesichertes Überleben. Vice versa.
Später wurde das schwieriger. Erst kam die Geldwirtschaft, zum Ende des Mittelalters auch noch die Arbeitsteilung hinzu. Und mit ihr setzte sich der Zeitlohn durch. Denn die Entlohnung nach Stück wurde zunehmend schwierig: Die Leistungsmessung pro Person war nicht mehr so einfach. Lohnabzüge für Qualitätsmängel wurden zum Streitpunkt. Und bei neuen Moden, Reparaturen oder Produktivitätssteigerungen mussten die Löhne jeweils neu ermittelt werden. Zudem stand der Stücklohn in dem Ruf, Arbeitende zur Rücksichtslosigkeit gegenüber ihrer eigenen Gesundheit zu verleiten.
Heute dominiert der Zeitlohn, vor allem in den Büros unserer Welt. Manchmal wird die Torte mit Leistungskomponenten garniert, sie bleiben aber meist von untergeordneter Bedeutung. Nachvollziehbar, denn mit der Messbarkeit individueller Leistungsbeiträge ist es bei weiter zunehmender Arbeitsteilung nicht besser geworden. Ganz abgesehen davon, dass vermeintliche individuelle Leistungsbeträge immer mehr im Widerspruch zueinander stehen können (z.B. niedrige Bestände und hohe Liefertreue) oder einfach nur unterschiedlich interpretiert werden. Eine komplette Rückkehr zum Stücklohn scheint auch deshalb schwer vorstellbar, weil ein Mengenausfall – egal aus welchem Grund – automatisch die Grundsicherung gefährden würde. Ein Risiko, das heute nur noch Selbständige und Kleingewerbetreibende auf sich nehmen mögen.
Entscheidend ist: Mit zunehmender Arbeitsteilung und mit der Verbreitung des Zeitlohns wurde es immer schwieriger, überhaupt über Leistung und Arbeitsergebnisse zu sprechen. Und so diskutieren wir heute ausschließlich über die eingesetzte Zeit, darüber, welche Anwesenheitszeiten und Überstunden bezahlt werden sollen und wie Kaffee-, Raucherpausen und Homeoffice zu betrachten sind.
Als Gegenmaßnahme versuchen nicht wenige Firmen, die Produktivität dadurch zu steigern, dass sie technische Hilfsmittel zur Überwachung ihrer Mitarbeiter einsetzen. Es wird alles erfasst, jeder mit jedem verglichen und derjenige entlassen, der die Arbeitsergebnisse seiner Kollegen nicht erreichen kann. Das ist ein sehr hilflos wirkender Versuch, Menschen zu etwas zu zwingen, was sie offensichtlich von alleine nicht tun würden. Das ist nicht nur ein Irrweg, weil Menschen wie Maschinen betrachtet und behandelt werden. Der „Erfolg“ wird auch nur von kurzer Dauer sein. Weil die betreffenden Tätigkeiten so stark reproduzierbar sind, dass sie in wenigen Jahren von Robotern, Computern oder selbstfahrenden Fahrzeugen übernommen werden. Man wird hingegen nie messen und überwachen können, wie jemand ein Problem löst, das es bisher noch nicht gegeben hat.
Bei dieser auch zukünftig verbleibenden kreativen Arbeit brauchen wir andere Lösungen, um Leistung und Produktivität wieder zum entscheidenden Thema zu machen. Und das nicht mit dem Ziel, mehr Geld aus den Mitarbeitern rauszuholen, sondern endlich weniger als die 80%, 70% oder 50% der von uns bezahlten Stunden nutz- und wertlos zu verschwenden. Dafür schaffen wir idealerweise wieder einen Zusammenhang zwischen den Interessen der Schaffenden und ihren Arbeitsergebnissen. Denn nachhaltig und wahrhaftig lässt sich Produktivität nur erreichen, wenn sie von sich aus genügend gute Gründe finden, zügig zu arbeiten. Manchen Chefs gelingt das mit Geschenken, manchen mit ausgefeilten Entgeltmodellen und in manchen Konstellationen reicht alleine der höhere Sinn schon aus.
Darüber hinaus braucht es Orientierung. Einen Maßstab. Vor 15 Jahren hörte ich erstmals von Parkinsons Gesetz. Arbeit dehnt sich so stark aus, wie Zeit zur Verfügung steht. Stimmt. Aber es wird meist mit dem Hintergedanken verwendet, dass Leute sich wann immer möglich Zeit lassen und nur dann sputen, wenn man sie ordentlich unter Druck setzt. Praktisch umschreibt das Gesetz aber unsere Fähigkeit, das Maß unserer Detaillierung bzw. unserer Sorgfalt an die zur Verfügung stehende Zeit anzupassen. Eine großartige Fähigkeit, die uns in Gefahrensituationen ebenso zur Hilfe kommt, wie sie uns totale Akribie ermöglicht, wo immer wir das wertvoll finden.
In jedem Fall benötigen wir einen Handlungsmaßstab für unsere Aufgaben, an dem wir unseren Fortschritt referenzieren und unser weiteres Vorgehen ausrichten können. In der Industrie hilft dabei ein Takt. Egal, was es ist, das mittelalterliche Tagewerk oder ein beliebiger kürzerer Rhythmus. Bei Denkarbeit bleibt das schwierig, weil die einzelnen Aufgaben immer unterschiedlich lange dauern. Als wirksames Hilfsmittel haben sich deshalb die Fokussierung auf jeweils in näherer Zukunft liegende Endtermine bzw. die Schätzung der Bearbeitungsdauer (Zeitschätzung) erwiesen. Wobei die Schätzwerte so gewählt sein müssen, dass sie hinreichend klein sind, um eine wirksame Rückkopplung zwischen Fortschritt und Vorgehen zu ermöglichen.
Sind Motivation und Orientierung beim Einzelnen sichergestellt, ist noch ein weiterer Punkt zu beachten: Im Zeitalter der Arbeitsteilung ist Produktivität ein kollektives Thema. Entsprechend skeptisch dürfen wir mit „Hacks und Tipps“ für mehr persönliche Produktivität sein. Denn 90% unserer Verschwendung entsteht nicht beim Laufen selbst, sondern stammen vom Schuhwerk, vom Zustand der Bahn, von der Zahl der Läufer, von Umwegen, die wir laufen müssen, oder passieren bei der Weitergabe des Staffelstabs. Weil manche dieser Verschwendungen sehr versteckt erfolgen, haben wir die wesentlichen Quellen in unserer Sammlung „50 verborgene Verschwendungen“ zusammengetragen*.
Der Weg zur Steigerung der Produktivität führt also neben dem förderlichen Arbeitsrahmen, bestehend aus Motivation und Orientierung, über die gemeinsame Arbeit aller Beteiligten an der Beseitigung der gemeinsamen Verschwendungsquellen in ihrem System. Wer ihn konsequent verfolgt, wird mit ungeahnten Ergebnissen belohnt.
*inzwischen als Buch veröffentlicht mit dem Titel Fünfzig Mal Verschwendung.
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