Deutschland ist zersplittert. Jede Region hat ihre Grußformel, sei es „Moin“, „Moin, Moin“, „Servus“, „Grüß Gott“, „Gude“ oder einfach nur „Guten Morgen.“ Vermutlich gibt es noch viel mehr davon. Und so traditionell sie sind, stehen sie doch vor ihrer Ablösung, und das bundesweit. Es gibt eine neue Formel, die viel kraftvoller, reichhaltiger und universeller ist: „Ganz kurz…“ Insbesondere in unseren Büros kommt sie immer mehr zum Einsatz, und das ohne regionale Unterschiede. Sie wird meist angewandt, wenn einer unserer Kollegen oder Mitarbeiter den Kopf zur Bürotür hereinstreckt oder sich im Großraumbüro hinter unserem Rücken angepirscht hat.
Sie ist deshalb so reichhaltig, weil sie zugleich eine Bitte um Aufmerksamkeit, eine Entschuldigung für die Störung und der Auftakt zu einer meist dann doch nicht ganz so kurzen Rede ist. Und sie funktioniert. Nahezu immer. Oder hat darauf schon mal einer „nein“ oder „jetzt nicht“ gehört oder sich das zu entgegnen getraut? Wir wollen ja im Grunde unseres Herzens gute Chefs oder Kollegen sein und würden es nicht über das Herz bringen, so eine Mini-Bitte abzulehnen. Und schon gar nicht am Montag Morgen, bei dem Schicksal, das die Kollegin erlitten hat, oder so kurz vor Weihnachten.
Besonders betroffen sind Teamleiter, Führungskräfte oder Projektleiter. Aber auch Sekretariate. So schrieb mir Monika, eine Teamleiterin, am ersten Arbeitstag nach ihrem Lean Office Tagestraining, sie habe die Zeit gestoppt: Sie war am Vormittag 3,5 h im Büro und davon nur 23 Minuten überhaupt ungestört. Ganz generell werden wir in unseren Büros inzwischen alle 3, 5 oder 8 Minuten bei der Arbeit gestört, je nachdem welcher Studie wir Glauben schenken. Mein persönlich beobachteter Rekord in der Zusammenarbeit mit einem Sekretariats-Team: alle 1,7 Minuten.
Und wie helfen wir uns jetzt? Nein sagen? Oder ein „Bitte nicht stören“-Schild aufstellen? Nein, denn damit würden wir nur an den Symptomen kratzen. Letztlich haben wir es mit den Begleiterscheinungen unserer veränderten Welt zu tun, von denen einige sind: Wir haben unsere Arbeit klassisch auf zu viele Köpfe verteilt, so dass die Bearbeitung bzw. jede Veränderung die Abstimmung mit allen bzw. die Einholung einzelner Informationen bedarf. Wir sind so sehr mit Nachrichten und Aufgaben bombardiert, dass wir die beim Kollegen vermeintlich schneller verfügbare Information der eigenen Suche vorziehen. Wir sind unter Druck und hatten deshalb keine Zeit, uns bei der Übernahme der Aufgabe um alle Informationen („Full Set“) zu kümmern. Deshalb laufen wir mittendrin los, uns die fehlenden Informationen zu besorgen. Oder wir bekämpfen den zunehmend spürbaren Kontrollverlust mit dem Wunsch, jeden Schritt noch intensiver mit uns abgestimmt oder von uns geprüft bzw. entschieden zu sehen.
Am Ende wird nur helfen, unsere Arbeit passend zu strukturieren, um der neuen Grußformel ihren Nährboden zu entziehen. Ich bin gespannt, ob uns das gelingt oder ob sie es bis dahin schon geschafft hat, ähnlich wie Kindergarten oder Bratwurst in den englischen Sprachgebrauch zu migrieren: „Good morning, Boss, gänz körz…“
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