– Warum Veränderung so schwer fällt –
Im Mainstream Business Entertainment ist alles ganz einfach. „Nehmt Euch mal ein Beispiel an der Superstar GmbH.“ „So und so geht das“ (weiß ich wahlweise aus 1.000 Büchern, den sozialen Medien oder weil das Egon Mast auch so macht). „Ihr müsst das selbstorganisiert im stop-bullshit-power-Sitzkreis diskutieren, demokratisch abstimmen und umsetzen.“ Zack, traumhaft.
Im echten Leben ist das viel komplizierter. 99% aller Unternehmen leben von ihren tradierten Gewohnheiten und es gibt nichts und Niemanden, der sich darum kümmert, dass irgendetwas besser wird. Meist ist es dem Druck des Chefs und/oder dem Engagement einzelner geschuldet, wenn Systeme eingeführt werden, die Automatisierung vorangetrieben wird oder neue organisatorische Lösungen Einzug halten.
Im Grunde beginnt das Problem damit, dass es denjenigen nicht gibt, der sich als Digitalisierungs-, Prozess- oder Organisationsbeauftragter kümmert und über die freien Kapazitäten für die systematische und eher mittelfristige und interdisziplinäre Analyse- und Optimierungsarbeit verfügt. Der Widerstände ausräumt oder Gelder organisiert.
Und die Masse der Mitarbeitenden, die können das doch machen, oder? Es muss sie doch nerven, immer wieder ihre Zeit unnütz zu verschwenden. Immer wieder von Hand dasselbe zu machen oder dieselben Fehler auszubügeln.
Das stimmt zwar, aber wenn wir meinen, sie würden beruflich ebenso Zeit einsparen wollen, wie sie das privat tun, wenn sie Waschmaschine und Auto statt Zuber und Kutsche nutzen, dann verkennen wir, dass sie fast alle nach Zeit bezahlt werden und es erst einmal darum geht, genau so viel Zeit für den Arbeitgeber aufzubringen, wie der Vertrag es vorschreibt.
Wie die „verkaufte“ Zeit konkret eingesetzt wird, ist zweitrangig. Aber selbst dort, wo unbezahlte Überstunden geleistet werden, und der Mitarbeiter profitieren könnte, ist die Motivation zum Zeitsparen eher gering. Weil die Chefs in Systemen mit klassischer Arbeitsverteilung jede Optimierung und freiwerdende Zeiten umgehend mit neuen Aufgaben zu füllen wissen.
Aber das ist noch längst nicht alles. Es gibt weitere systemische Gründe, weshalb sich Firmen mindestens mal in der westlichen Welt schwertun, ihre Arbeitsweisen zu optimieren und kürzere Wege zu gehen:
– Angestellte sollen und wollen zuallererst das tun, was man ihnen sagt. Das stiftet auf beiden Seiten sehr viel Sicherheit. Das vorgefundene Vorgehen – egal wie schlecht es funktionieren mag – gilt allen als Norm und Normalität, die sie erfüllen sollen. Die Norm in Frage zu stellen, muss die Aufgabe von anderen sein. Prozessmanagern oder Chefs vielleicht.
– Manche können oder wollen sich gar nicht so sehr in die sehr arbeitsteiligen Zusammenhänge und organisatorischen oder technischen Möglichkeiten eindenken, dass sie sich ein besseres Vorgehen vorstellen können.
– Häufig gibt es Ideen, aber die Betroffenen erkennen, dass so viele Parteien involviert sind, dass sie schlicht nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen.
– Viele Mitarbeitende haben es mit der Veränderung versucht, sind aber wiederholt am Widerstand ihrer Kollegen oder Vorgesetzten gescheitert. Die den zusätzlichen Aufwand scheuen und gut gemeinte Vorschläge als Ruhestörung beim täglichen Weidegang empfinden.
– Die wiederkehrenden Krisen sind die Hauptbühne im Unternehmen. Karrieristen suchen sie wie die Motten das Licht, um unter der Beobachtung des Top-Managements eine gute Figur zu machen. Seriösere Mitarbeiter riskieren ihre Reputation, wenn sie auf dieser Hauptbühne nicht sichtbar sind, weil sie sich vornehmlich um unsichtbare, aufwendige und mittelfristige Veränderungsarbeit mit ungewissem Ausgang kümmern. Entsprechend werden sie sich wie alle anderen prioritär der Krisenarbeit widmen.
Insgesamt wäre es unfair, Mitarbeitenden die Schuld dafür zu geben, dass sie die Veränderung nicht wollten oder alles blockierten – wie manche Chefs behaupten. Es ist vielmehr eine Frage, ob das System Raum und Anreize für Veränderungsarbeit bietet und Erfolge belohnt. Und damit auch, ob die Führungskräfte diese veränderte Priorisierung vorleben. Erst dann wird es möglich sein, der im winterlichen Frost erstarrten Prozesslandschaft neues Leben einzuhauchen.
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