In Kürze treffen wir uns vom ife in Leipzig zum Kongress für Einzelfertiger, um über die Perspektiven des Geschäftsmodells der Einzel-, Projekt- bzw. Auftragsfertiger zu diskutieren. Einzelfertiger zeichnen sich dadurch aus, dass sie in jedem Auftrag irgendetwas schaffen, das so in der Form noch nicht dagewesen ist, und damit mindestens zum Teil einzigartige Kundenprobleme lösen. Sie sind überall da anzutreffen, wo Produkte etwas mit veränderlichem Geschmack von Menschen zu tun haben, wo exklusive Luxusbedürfnisse erfüllt werden, wo geforscht oder Neues entwickelt wird (auch Automatisierungslösungen für die Massenfertigung), oder wo eine begründete physikalische, wirtschaftliche oder ideologische Andersartigkeit den Einsatz vorhandener Standardlösungen verbietet.
Einzelfertiger finden wir überall, insbesondere im Dienstleistungsbereich, sei es als Handwerker, Projekt- und Softwareentwickler, Werbeagenturen, Architekten, Anwälte oder Berater (die Liste ist naturgemäß unendlich). Wir finden sie im Bau sowie im Maschinen- und Anlagenbau, wo sie Produktionsanlagen für andere Firmen herstellen, und in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Industrieunternehmen. Sie alle unterliegen Überraschungen und Veränderungen der Produkte bzw. der Kundenwünsche im Entstehungsprozess, der Produktionsbedingungen, -ergebnisse oder der Produktmengen, was eine besondere Flexibilität von ihnen verlangt. In den letzten Jahren gerät die kundenindividuelle Einzelanfertigung zunehmend unter Druck von Serien- und Massenanbietern, die über automatisierte Konfiguratoren deutlich mehr Produktvarianz und Individualität als in der Vergangenheit bieten können, und das stückzahlbedingt immer zu günstigeren Preisen.
Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, wie sich zunehmende Automatisierung und Individualisierung (sowie weitere Zukunftstrends) auf Einzel-, Serien- und Massenfertiger und ihre jeweiligen Marktpositionen auswirken werden. Wer wird den Wettlauf gewinnen? Wird es zukünftig überhaupt noch Einzelfertiger geben oder werden sogar alle Firmen zu Einzelfertigern?
Um die Frage in ihrer Vielfalt zu beantworten, nähern wir uns am besten über die einfache Variante, die Einzelfertigung von Dienstleistungen. Hier ist sie das dominierende Geschäftsmodell. Zwar gibt es auch Standardlösungen, doch werden diese bereits heute, spätestens aber zukünftig, automatisiert erbracht, mutmaßlich von Online-Anbietern (z.B. Steuerberatung ab 69 Euro im Monat, Musterverträge von Rechtsanwälten usw. usw.). Damit verbleibt den lokalen Dienstleistern nur das Geschäft, bei dem es um echte kundenindividuelle Lösungen geht (in welcher Facette auch immer, sei es aufgrund von Funktion, Komfort oder Lieferzeit etc.). Oder um notwendige Arbeit mit Menschen. Dabei werden der Marktdruck und der Wettbewerb dafür sorgen, dass ihre jeweilige inhaltliche Nische immer kleiner werden wird und der Markt örtlich immer größer definiert werden muss. Und mit jedem weiteren Individualisierungsschritt der automatisierten Wettbewerber werden sie ein Stück weiter ausweichen und immer neue individualisierte Lösungen schaffen. Die Aufrechterhaltung des Geschäftsmodells wird umso besser gelingen, je dynamischer sich die Bedürfnisse auf dem jeweiligen Markt entwickeln und je schwerer es den Massenanbietern fällt, mit automatisierten Lösungen zu folgen.
In ihrem Kernbereich werden sie einzigartige Menschen einsetzen, um zu besonders intelligenten Lösungen zu gelangen, und marktseitig werden sie mit vielen Partnern kooperieren, um hinreichend viel Aufmerksamkeit und Aufträge zu erhalten. Gleichzeitig werden sie sich bei der Leistungserbringung für alle standardisierten Aufgaben, wie Homepage-Erstellung, Auftragsabwicklung, Buchhaltung oder Einkauf zunehmend standardisierter Lösungen bedienen. Wobei die Herausforderung nicht darin besteht, wiederkehrende Aufgaben zu standardisieren, sondern dafür vorhandene Marktlösungen zu finden, die kostspielige Eigenentwicklungen entbehrlich machen. Am Ende wird jeder dienstleistende Einzelfertiger so überregional wie möglich agieren und Teil eines verzweigten Netzwerkes sein.
Im Vergleich zu Einzelfertigern in diesen Branchen ist die Situation im Maschinen- und Anlagenbau etwas diffiziler: Klassisch haben diese Anbieter als Think-Tanks ihrer Kunden fungiert und ihnen ausgefeilte Produktionsmittel zur Verfügung gestellt. Auf die Frage „was ist der Kundennutzen?“ haben sie „mit unseren Maschinen produzieren“ geantwortet. Ihre Produkte sind erklärungsbedürftig und neben den guten Ideen kümmern sie sich um die meisten Schritte ihrer Wertschöpfungskette selbst, von Teilefertigung über Montage, Inbetriebnahme bis hin zum After Sales Service. Im Ergebnis verfügen sie über eine sehr große Wertschöpfungstiefe, ihre Produkte sind regelmäßig die leistungsfähigsten auf ihrem Markt und aufgrund der gering(st)en Stückzahlen produzieren sie zu den höchsten Kosten und besetzen die hochpreisigen Marktpositionen.
Schon heute stehen diese Hersteller aus verschiedenen Richtungen unter Druck: Ihre Abnehmer sind ihrerseits zunehmenden Schwankungen und disruptiven Risiken ausgesetzt (Beispiel Automobilindustrie) und mit zunehmender Marktdynamik sinkt deren Bereitschaft, kostspielige oder sogar langjährige Investitionen zu tätigen. Lösungen mit geringerem Automatisierungsgrad, hohem Standardisierungsanteil, mit Finanzierungsbausteinen oder größerer Produktflexibilität werden attraktiver. Das spielt den Lieferanten von Standardprodukten in die Karten.
Weiterhin werden die Maschinen- und Anlagenbauer insbesondere im Ausland von „good-enough“ Wettbewerbern bedrängt, die nur den notwendigsten Teil der Produktfunktionen abdecken und die deshalb und Dank ihrer Herkunft über deutlich günstigere Kostenstrukturen verfügen. Sie gewinnen mit der globalen Produktionsverlagerung in Wachstumsmärkte bzw. die Länder mit den niedrigsten Produktionskosten – ihre Heimatländer – auf natürliche Weise immer mehr Marktanteile.
Deshalb müssen unsere Maschinen- und Anlagenbauer ihre Kostenposition auf breiter Front verbessern und ihre Maschinen entgegen der deutschen Ingenieurs-DNA konsequent vereinfachen. Dabei werden sie gezwungen sein, günstigere Beschaffungsquellen und geringere Qualitäten einzusetzen, ihre Produktion zu lokalisieren, die Produkte zu modularisieren, alles Wiederkehrendes zu standardisieren und neue Ansätze – wie 3D-Druck – zu nutzen. Der mögliche Strauß an Maßnahmen ist ebenso breit, wie die Wertschöpfungstiefe groß ist. Wobei jeder Standardisierungsschritt die Gefahr birgt, ein Stück Einzigartigkeit und Existenzberechtigung zu verlieren, ohne das Kostenniveau der Massenfertiger jemals erreichen zu können. Was es ebenfalls nicht einfacher macht, ist der Umstand, dass das Geschäftsmodell des Einzelfertigers projektorientiert ist und traditionell kaum auftragsanonyme Investitionen kennt. Weil keiner im Vorfeld die Frage beantworten kann: auf wieviel Stück wird sich die Investition denn verteilen?
Deshalb gilt ähnlich wie bei den einzelfertigenden Dienstleistern, sich langfristig zu fokussieren und immer weniger von dem selber zu machen, was andere günstiger können, und zudem auszuweichen in Produktnischen, die von den Standard- und „good-enough“-Herstellern nicht bedient werden. Neben Modernisierungs- und Kapazitätssteigerungskampagnen liegen Chancen in Produkten, in denen auch Dienstleistungen enthalten sind: technische Recherchen und Beratung, Maschinenservice, Datensammlung über Sensoren, Vernetzung, Betreibermodelle etc. sowie Hybridlösungen mit anderen Lieferanten der Kunden. Entsprechend der jeweiligen Branchenbedürfnisse. Das wird immense Anforderungen an den Vertrieb der Maschinenbauer stellen, der bisher nur Hardware an weltweit vielleicht vier bis sechs Hände voll Menschen verkauft hat. Und sie werden robuster organisiert sein müssen, weil der Markt kaum noch Fehler oder deren Folgekosten und Verspätungen toleriert.
Insgesamt sind Massenhersteller im Vorteil, da sie dank ihrer mengenbedingten Kostenvorteile mutiger investieren können und sie werden ihre Kostenvorteile mit jedem Automatisierungsschritt und Mengenzuwachs ausbauen können. Aber Einzelfertiger werden weiterhin für Neues zuständig bleiben. Sie werden mitKreativität, Fokussierung (auf das Neue und Einzigartige) und Kooperationen auf die Herausforderung reagieren. Im Ergebnis werden sich die Einzelfertiger im Maschinenbau als Produktionsprozessexperten verstehen lernen und immer weiter den Einzelfertigern in der Dienstleistung angleichen, um ihren berechtigten Platz neben den Massen- und Variantenfertigern zu verteidigen. Und sobald sie etwas Neues geschaffen haben, werden allein die (globalen) Stückzahlen sowie die Unterschiedlichkeit der Bedürfnisse darüber entscheiden, wie weit sich eine Standardisierung und damit Varianten- oder Massenfertigung lohnt:
Und überall da, wo sie lohnend ist, wird sie auch stattfinden.
Alles in allem stehen insbesondere die Einzelfertiger im Maschinen- und Anlagenbau vor größten Herausforderungen. Allerdings verfügen sie aus ihrem Geschäftsmodell heraus über ein großes Maß an Offenheit und Flexibilität und damit über beste kulturelle Voraussetzungen dafür, dass ihnen die Anpassung gelingen kann.