Die letzten Wochen hatten es in sich. Bei einem Veränderungstraining hat mich ein Management-Team gefragt, was es noch alles tun und wann es denn Zeit haben solle, sich auch noch um Veränderung zu kümmern. Auf ein Angebot bekam ich die Antwort, das Team müsse erst einmal die neuen Team-Mitglieder integrieren, bevor die Veränderungsarbeit beginnen könne. Wobei die auch gar nicht so gravierend sei, weil man ja bereits Prozesse habe und die Überprüfung auch selber leisten könne. Später. In einer größeren Firma hat ein Teil der Teilnehmer derselben Veranstaltung, mit der wir bereits mehreren hundert begeisterten Menschen helfen konnten, ihr Arbeitsleben wieder in den Griff zu bekommen, befunden, sie fänden es zwar gut, hätten aber keine Zeit, sich mit Verschwendung und deren Vermeidung zu befassen. Tut uns leid. Echt jetzt. Und für einen Branchenfachvortrag bin ich gebeten, über Prozessverbesserung zu referieren, obwohl es für diese Branche bereits alle erforderlichen Standard-Automatisierungslösungen zu kaufen gibt. Sie wünschen? Eine Kutschfahrt zum Flughafen. Ich schau mal, was sich machen lässt.
Zugegeben, solche Erlebnisse gehören zum Beraterleben dazu. Insbesondere beim Erstkontakt. Wie kritisch allerdings die beiden Hauptweichspüler „für Veränderung haben wir gar keine Zeit“ und „das können wir auch später machen“ sind, wurde mir wieder so richtig bewusst, als ich diesen Donnerstag einen Vortrag von Alexander Britz hören durfte, Leiter Geschäftsbereich Digital Business bei Microsoft. Er sprach darüber, dass im Jahr 2020 bereits 85% aller Unternehmen in irgendeiner Form künstliche Intelligenz nutzen werden und im Jahr 2025 95% aller Kundeninteraktionen von Bots erledigt werden. Und darüber, dass HP bereits heute 70% aller technischen Supportanfragen durch AI bearbeiten lässt, während die Zürich schon 50% aller Glasschäden auf diese Weise verarbeitet. Die Fortschritte bei Microsoft weiterzugeben, spare ich mir an dieser Stelle.
All das bedeutet nichts anderes, als dass die übernächste Welle der Digitalisierung bereits eingetroffen ist. Oh, Sie haben auch schon Spritzer abbekommen? Das tut mir leid. Während wir noch diskutieren, ob und in welchem Maß Veränderung überhaupt erforderlich sein könnte. Ganz so wie ein anonymer Zuhörer von Herrn Britz über Slido fragte „Ich bin Selbständig. Meine 12 Mitarbeiter sind voll beschäftigt. Wer soll die Digitalisierung umsetzen? Was habe ich davon?“ Besser kann man die Diskussion nicht auf den Punkt bringen. Herzlichen Dank.
Viel mehr noch diskutieren wir aber darüber, was wir mit den Flüchtlingen machen, was wir von Herrn Trump halten und wie genau wir semantisch korrekt über das sprechen, was sich neulich in Chemnitz zugetragen hat. Und merken gar nicht, wie nebenbei die Zukunft über uns hinweg geht. Mit einer Veränderungsrate, die bereits jetzt in weniger als einem Jahr mehr Neues entstehen lässt als jeweils zwischen 1900 und 1970 oder 1970 und 2000. Das heißt, es gibt inzwischen jedes Jahr eine Vielzahl Gründe, ein Stück von uns komplett neu zu erfinden. Meine persönliche Verarbeitung mündete zunächst darin, mir ein neues T-Shirt zu bestellen. Denn ich habe mir ab sofort vorgenommen: Keine Veränderung – kein Mitleid. Dann schaffe ich mir Raum, weiterhin täglich mein eigenes Geschäft zu reflektieren und helfe mit ganzer Kraft meinen Kunden bei ihrer Veränderung. In dieser Reihenfolge.