Nachdem sich der Corona-Nebel schwer und zäh über das Land gelegt hat, verhungern viele Firmen bei lebendigem Leib. 75% Umsatz in Kombination mit Kurzarbeit und Coronahilfen sind zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Wenn dann noch Eigentümer und Banken zögern, mit frischen Mitteln zur Seite zu stehen, „bevor das Ende der Krise sichtbar wird“ dann hat das letzte Gefecht bereits begonnen.
Und die Firmen fragen sich, welche Optionen sie überhaupt haben, wenn von außen keine Rettung zu erwarten ist. Der gängigste und einfachste Weg ist, zuzusehen und zu sterben, ganz unaufgeregt, ganz pragmatisch. Der andere Weg ist, sich aus eigener Kraft aus dem Sumpf zu ziehen. Dafür wäre es natürlich ideal, wenn sich die Situation wenigstens wie eine Krise anfühlen würde. Was sie nicht tut, weil die meisten von uns zwischen Kurzarbeit und Home-Office pendeln, während wir die neuen bei mittlerem Regen im westlichen Rems-Murr-Kreis gültigen Coronaregeln auswendig lernen und nebenbei von Webinar zu Webinar hüpfen. Während die Medien sich mit immer neuen Entrüstungen überschlagen. Hast Du gelesen, in Böblingen hat eine Mutter ihren Sohn gezwungen, eine rosafarbene Maske zu tragen? Die sollte sich was schämen, beim Amt müsste man die melden.
Aber nehmen wir mal an, wir wären bereit, aus eigener Kraft etwas zu unternehmen. Was wäre das dann? Idealerweise würden wir überwinden wollen, was wir das „Betriebssystem der 90er“ nennen. Damals haben wir den kurzen Dienstweg abgeschafft und durch Computersysteme ersetzt. Systeme, die wir einerseits schlecht gepflegt und andererseits um so viele Ausnahmen ergänzt haben, dass es ganz selbstverständlich wurde, sie wie schwer erziehbare Jugendliche zu behandeln und mit einer Armee von Aufpassern zu umsorgen, damit sie auch das Richtige auswerfen. Dafür gibt es heutzutage viel bessere Lösungen.
Aber um das zu ändern, brauchen wir Zeit. Jeder von uns. Jeden Tag. Zeit? 2020? Undenkbar. Vor lauter Inspirationen aus der Umwelt, Vorschlägen unserer Kollegen, eigenen Ideen, was wir eigentlich tun müssten und könnten, und den to-dos aus unseren letzten Fehlleistungen, Falschlieferungen und Kundenbeschwerden haben wir nicht eine Minute frei. Echt nicht. Im Gegenteil. Eigentlich würden wir uns vierteilen müssen.
Und genau da liegt der Schlüssel zu unserer Zukunft versteckt. Auf der Suche nach Freiraum durchforsten wir am besten unseren Zeithaushalt, überprüfen, was wir am Tag so alles tun. Ist das wirklich wertschöpfend und produktiv, bringt es unsere Firma voran und dient es ihr in Form neuer Kunden, Produkte oder zusätzlicher Geschäfte? Nein, tut es nicht. Ganz im Gegenteil, 90 (in Worten neunzig) Prozent von dem, was wir heute tun, ist nicht wertschöpfend. Und damit ist nicht mal gemeint, dass wir den Verlockungen der boomenden „Business Entertainment“-Branche erliegen und uns mit Key-Notes, Filmchen und Büchern volldröhnen. Nein, damit gemeint sind die Dinge, die wir in guter Absicht tun, die sich aber bei genauerem Hinschauen als nicht wertschöpfend erweisen.
Sie haben derart überhandgenommen, dass wir ihnen in den nächsten Wochen eine ganze Kampagne widmen wollen. Unter dem Motto „Keine Wertschöpfung.“ Nehmen wir zum Beispiel Rückfragen. Rückfragen sind heute sehr verbreitet, aber keine Wertschöpfung. Denn sie sind vermeidbar, wenn wir nur aufmerksam sind und sich Auftraggeber und Auftragnehmer auf Anhieb über alles austauschen, was erforderlich ist, um eine Aufgabe ohne weiteres zu erledigen.
Wie das geht, machen uns die Internet-Händler vor. Ihr Erfolg beruht darauf, dass ihr Kunde vorab standardisierte Daten zusammenträgt und vollständig übermittelt, so dass der Auftrag ohne persönlichen Kontakt oder Rückfragen erledigt werden kann. Konsequent angewendet, lassen sich mit Shopsystemen oder Checklisten – ihrem offline-Pendant – alle Rückfragen und damit 80% des traditionellen Aufwandes reduzieren. Digital sogar 99,5% des Aufwandes.
Doch auch außerhalb des Hauptprozesses lauern überall Rückfragen. Vieles bleibt schlicht für immer diffus: Wo gibt es Parkkarten für die Tiefgarage, wie ist der Sollzustand der Küche, sollen die Fenster abends geschlossen werden und wen spreche ich an, wenn ich eine Frage habe? In jeder Firma gibt es etwa 1.000 Themen dieser Art. Und wo immer die Antworten nicht dokumentiert sind, übernehmen Rückfragen – und schlimmer noch – Pluralität, Konfusion und Streit das Kommando.
In einem anderen Slogan behaupten wir, „eine gute Figur machen ist keine Wertschöpfung“. Damit nehmen wir Bezug darauf, dass sich viel von dem, was wir tun, darum dreht, eine gute Figur zu machen oder uns ins rechte Licht zu rücken. Wenn wir beispielsweise Schuldige suchen oder uns rechtfertigen. Die meisten dieser Gespräche führen wir aus Sicht unserer Firma ohne Fortschritt, ohne Neues, ohne Erkenntnisgewinn, ohne Wert für den Kunden. Oft besteht der Fortschritt nur darin, dass wir erfolgreich über ein neues Erledigungsdatum verhandeln. All das ist Zeitverlust, Geldverbrennung, verzichtbar.
Insgesamt haben wir bisher 46 Begriffe, Motive und Verhaltensweisen zusammengeführt*, mit deren Hilfe wir unseren Tag beobachten und durchforsten können, im Galopp innehalten und uns entscheiden, die nächsten Minuten produktiver zu verbringen. Und damit Zeit freizubekommen, um den Defibrilator rauszuholen und unser Geschäft aus eigener Kraft wiederzubeleben.
Das ist unrealistisch? Ja, das glauben wir auch. Aber es ist ein Weg und er steht jedem jederzeit offen. Da stört auch kein Lockdown, Lockdown light oder Lockdown Double White Toffee Nut Latte Premium Caramel Semi-Lactose Free. Und wenn dank dieses Artikels auch nur einer nicht mehr zusieht, wie der Rest seines Geldes verbrennt, sondern er sein Schicksal in die Hand nimmt, dann ist das ein riesiger Erfolg.
*inzwischen als Buch veröffentlicht mit dem Titel Fünfzig Mal Verschwendung.
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