Wenn der Tsunami kommt…

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Körners Gesetz
25. August 2018

Wäh­rend die Soft­ware­bran­che expe­ri­men­tiert und Intel­lek­tu­el­le, Bera­ter und frus­trier­te Aka­de­mi­ker in Käfig­hal­tung immer lei­den­schaft­li­cher neue Metho­den und längst über­fäl­li­ge Ver­än­de­run­gen dis­ku­tie­ren, pas­siert im Mit­tel­stand…? Nichts. Genau. Man­che spre­chen hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand vor­sich­tig von den neu­en Metho­den, von denen sie gehört haben und die sie ger­ne aus­pro­bie­ren wür­den. Aber die meis­ten sind noch Licht­jah­re davon ent­fernt: Bei einem Vor­trag vor einem bun­ten Mix von Unter­neh­mern (neu­deutsch bei einer „Key Note“) habe ich kürz­lich die Fra­ge ein­ge­streut „agil, wer hat schon ein­mal davon gehört?“ Wor­auf­hin exakt null Zuhö­rer auf­ge­zeigt haben.

War­um soll­ten sie auch? Läuft doch. Klar ver­än­dert sich das Geschäft und wir haben schon bes­ser ver­dient. Aber nützt doch nix, geht doch allen so. Wenigs­tens sind die Zin­sen nied­rig. Und irgend­wie haben wir das schon immer hin­be­kom­men. Müs­sen halt alle ein biss­chen mehr mit anpa­cken. Ja, Digi­ta­li­sie­rung machen wir auch, wur­de eh mal Zeit, ein neu­es ERP-System zu kaufen.

Die Prot­ago­nis­ten orga­ni­sa­to­ri­scher Erneue­rung wür­den jetzt drin­gend war­nen, „Ihr müsst unbe­dingt agil wer­den! Modern füh­ren und Hier­ar­chien abschaf­fen, die jun­gen Leu­te mögen das nicht.“ Och, denkt da man­cher Len­ker ins­ge­heim, auf die kann ich ger­ne ver­zich­ten, die wol­len sowie­so nur pünkt­lich Fei­er­abend, Sab­ba­ti­cal und Eltern­zeit machen. Und beim Kon­stru­ie­ren glau­ben sie, es sei ein Zei­chen beson­de­rer Krea­ti­vi­tät, wenn sie Lösun­gen unter Umge­hung gel­ten­der Natur­ge­set­ze finden.

Da fragt man sich, gibt es denn über­haupt irgend­et­was, was die mit­tel­stän­di­sche Idyl­le trü­ben könn­te? Anzei­chen für eine ech­te Kri­se? Viel­leicht. All­ge­mein wird es schon schwie­ri­ger, neue Mit­ar­bei­ter zu fin­den. Bei­spiels­wei­se ist es in ein­fa­chen, aber anstren­gen­den Bran­chen oft nicht mehr genug, Min­dest­lohn zu zah­len. Sol­che Fäl­le las­sen sich aber in der Regel noch dadurch lösen, dass die Stun­den­löh­ne ange­ho­ben wer­den oder die Suche etwas krea­ti­ver betrie­ben wird, und neben Job­por­ta­len und dem Arbeits­amt neue Wege der Anspra­che beschrit­ten wer­den. Im schlimms­ten Fall kos­tet das halt die nächs­ten ein bis zwei Pro­zent Umsatz­ren­di­te. Aber wenigs­tens bleibt man im Spiel.

Wirk­lich kri­tisch wird es erst danach: Wenn die durch Spar­maß­nah­men eh schon knapp auf­ge­stell­te Trup­pe zu brö­ckeln beginnt. Denn frü­her war das viel ein­fa­cher. Trotz Hier­ar­chie und auto­ri­tä­rer Füh­rung und man­chem Zäh­ne­knir­schen blieb alles recht sta­bil, weil jeder Job zu aller­erst Sicher­heit vor Arbeits­lo­sig­keit bot und die nächst­bes­te Alter­na­ti­ve für einen Spe­zia­lis­ten ger­ne mal 80 km ent­fernt lag. Damit blie­ben Wech­sel eher die Aus­nah­me. Heu­te wer­den alle Gren­zen immer durch­läs­si­ger, Quer­ein­stei­ger hän­de­rin­gend gesucht, neue Jobs, Fir­men und Beschäf­ti­gun­gen ent­ste­hen, und zwar kaum noch da, wo schon etwas ist, wo mit Bahn­an­schlüs­sen, Häfen oder Kraft­wer­ken bereits gute Bedin­gun­gen vor­han­den sind. Son­dern über­all, denn heu­te brau­chen wir nur noch Büro, Com­pu­ter und Inter­net. Und für Selb­stän­di­ge noch eine Por­ti­on Mut oben drauf. Damit ent­ste­hen Alter­na­ti­ven über­all, flä­chen­de­ckend und qua­si da, wo immer wir es wollen.

Und mit den neu­en Alter­na­ti­ven bre­chen immer mehr Men­schen zu neu­en Ufern auf. Das neh­men die Unter­neh­men zu Beginn noch nicht wirk­lich wahr. Wie beim Zurück­wei­chen der Was­ser­li­nie vor dem Tsu­na­mi stau­nen sie zunächst und freu­en sich über die eine oder ande­re Kün­di­gung, schließ­lich senkt das die Kos­ten und ist ein Grund, ein­fach die Arbeit neu zu ver­tei­len. Und das eine oder ande­re auch ganz blei­ben las­sen. Hat sich eh nicht mehr gelohnt.

Doch wie beim Tsu­na­mi nach dem trü­ge­ri­schen Rück­zug der Was­ser­spie­gel bru­tal ansteigt, bricht im Anschluss das Unheil über die Fir­men her­ein: Mit schö­ner Regel­mä­ßig­keit, teil­wei­se bereits im Wochen­takt, kün­di­gen aus­ge­rech­net die Stamm­kräf­te und Leis­tungs­trä­ger. Oft aus lang­jäh­ri­gen Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­sen her­aus. Manch­mal mit dem Ver­weis auf bes­se­ren Ver­dienst oder eine span­nen­de Auf­ga­be in einem fas­zi­nie­ren­den Start-up, manch­mal nur des­halb, weil sie mit ihrem auto­ri­tär auf­tre­ten­den und kon­troll­ver­lieb­ten Vor­ge­setz­ten nicht (mehr) klar­kom­men (wol­len). Und dann beginnt die Fir­ma von innen her­aus zu zer­fal­len. Und der Weg ist nicht mehr weit, bis Lie­fer­ver­pflich­tun­gen und Ter­mi­ne ernst­haft in Gefahr geraten.

Was kön­nen Mit­tel­ständ­ler dage­gen tun? Wenn Sicher­heit und Aner­ken­nung auch anders­wo gebo­ten wer­den und als Grund ent­fal­len, dem Lei­dens­druck stand­zu­hal­ten, bleibt nur noch ein Moti­va­tor übrig, der Mit­ar­bei­ter vom Wech­sel abhält: Der Zweck. Der beson­de­re Grund, war­um sie sich in der Fir­ma wohl­füh­len und bereit sind, dort ihre Ener­gie zu inves­tie­ren. Und dazu gehö­ren bei­lei­be nicht der Kicker und die wöchent­li­che Mas­sa­ge, son­dern viel­mehr das Gefühl, Teil eines ver­schwo­re­nen Teams zu sein, das mit gan­zem Her­zen für die gute Sache und die Kun­den kämpft. Und das alles flan­kiert von einem gutem Arbeits­kli­ma, respekt­vol­ler Anspra­che und her­aus­for­dern­den Auf­ga­ben. Din­ge, die in klas­si­schen Arbeits­um­ge­bun­gen und Füh­rungs­sys­te­men in der Hek­tik des täg­li­chen Geschäfts ger­ne mal auf der Stre­cke bleiben.

Natür­lich kann der Druck auch durch Auto­ma­ti­sie­rung und Aus­la­ge­rung an Stan­dard­dienst­leis­ter gemin­dert wer­den. Aber wer sich sei­ne ganz per­sön­li­che Kün­di­gungs­wel­le erspa­ren will, macht sich bes­ser auf, sei­ne Fir­ma zu einem beson­de­ren Ort zu machen, einem Ort, an dem sich die Men­schen wohl­füh­len und ein­brin­gen wol­len. Und am bes­ten schon lan­ge bevor der Tsu­na­mi eintrifft.

Bild: uns­plash, Tim Marshall

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