Respekt ist alles. Ey, Respekt, Alter! forderten früher vielleicht nur Heranwachsende mit Großstadthintergrund. Heute gehört es zum guten Ton, von Respekt zu reden oder diesen einzufordern. Dabei ist Respekt vom Konzept her nichts, was man einfordern kann oder was dadurch entsteht, dass wir darüber reden. Respekt ist vom tieferen Kern her etwas Aktives, was mir erst kürzlich wieder bewusst wurde, als ich mit meinen Kindern Latein-Vokabeln gelernt habe. „Respicere“ heißt nämlich:
„denken an, berücksichtigen“.
Ja, what the heck. Wenn dem so ist, dann können wir uns fragen, an was in aller Welt denken wir heute eigentlich noch bzw. was berücksichtigen wir überhaupt bei unserem Denken und Handeln? Da fallen mir drei Sachen ein, die ganz oben stehen:
Zuallererst unsere eigene Meinung, alles was uns bewegt und was wir benötigen, um uns wohlzufühlen. Zweitens, unser elektronischer Hausstand, das ganze Klimbim, das wahlweise klingelt, brummt, surrt oder piept und mit dem wir unserer Umwelt vermitteln, dass wir cool und ganz vorne dabei sind, insbesondere dann, wenn ein „i“ im Produktnamen vorkommt (Wenn wir uns bewusst machten, dass die anderen gar keinen Kopf mehr haben, auf die Geräte anderer Leute zu achten, würden wir uns das vielleicht überlegen, aber das ist eine ganz andere Story). Drittens gibt es die Haustierbesitzer, die sehr darauf achten, wie es ihren Lauf-Flokatis geht, und die sich viel Mühe geben, ihren Bedürfnissen gerecht zu werden. Habe ich irgendwas vergessen? Ich denke, nein.
Ganz ehrlich, wann haben wir sonst mal an jemanden gedacht oder ihn berücksichtigt? Oha, denken wir, mal nachdenken. Machen wir doch einfach einen Test und schauen auf, auf den, der uns gegenübersitzt (wer jetzt sagt, „da sitzt keiner“ kann auch gerne nach rechts oder links schauen oder einen beliebigen Kollegen aus dem Firmentelefonbuch picken). Fragen wir uns doch mal, wann haben wir letztmals auf diese Person geachtet, wann haben wir ihre Gedanken und Bedürfnisse oder kleinen Unsicherheiten bei unseren Gedanken und Handlungen berücksichtigt? So ganz ohne Vorurteile, unabhängig davon, welchen Geschlechts, Glaubens oder welcher Herkunft…. äh… welcher Generation sie angehört, auf welcher Hierarchiestufe sie steht und wie lange sie schon Teil des Teams ist. Uhuu. Öhem. Hüstel.
Wir können jetzt anführen, das müssen wir auch gar nicht. Die Person hat ja ganz andere Aufgaben als wir. Und ja, vermutlich ist das größte Problem am Taylorismus, dass diejenigen, die in seinem Geiste handeln, meinen, es sei ausreichend, Prozesse zu befolgen und dabei allein die physiologischen Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu berücksichtigen, um erfolgreich zu sein. Welch ein Trugschluss…
Wenn wir die hohle Nuss wieder mit Inhalt füllen wollen, dann reicht es nicht, andere anzuerkennen, wie sie sind. So ganz ohne Konsequenz, gewissermaßen im Sinne von ignorieren. Apropos, dann ist es sogar kontraproduktiv, dazu aufzurufen, Menschen gerade dadurch zu respektieren, dass man sie ignoriere, wie es kürzlich ein junger „Speaker“-Kollege tat. Wenn wir in Firmen etwas bewirken wollen, dann blenden wir die Menschen nicht aus und spielen Rollenmemory oder Strukturmikado. Sondern berücksichtigen wieder, was die Menschen bewegt, und werden erst dadurch die richtigen Lösungen finden. Die besonders produktiv, weil respektvoll sind.
Wenn wir jetzt neugierig geworden sind und es morgen mal wieder probieren wollen, so mit Respekt ohne Mayo, aber mit Kern, dann suchen wir uns einen beliebigen Menschen aus unserem Umfeld aus, jemanden, der uns beim Spazierengehen begegnet, einen anderen Autofahrer oder jemanden im Supermarkt. Oder viel naheliegender einen der Fortnight-Zombies im Obergeschoss, schauen ihn an und überlegen, was ihn bewegt, und passen einfach mal unser Handeln darauf an. So ganz freiwillig, ohne Not oder Zwang. Und achten mal darauf, was dann passiert. Wie cool sich das anfühlt. Und denken dann Respekt, ey. Zu Recht…