Seit dem Bau der Pyramiden hat die Menschheit so manches Projekt erfolgreich abgewickelt. Zumindest sind die Bauwerke oder Produkte sichtbar fertig geworden. Wie es am Ende um die Finanzen und Terminvorstellungen der Auftraggeber bestellt war, ist nicht immer bekannt, vermutlich aus gutem Grund. Und da Projekte mitunter sehr herausfordernd sein können, gibt es immer wieder Diskussionen um die „richtige“ Methode, frei nach der Vermutung, dass der Projekterfolg nur eine Frage der Wahl der richtigen Methode sei, schlimmer noch der Wahl einer „modernen“ Methode.
Aktuell ist „Scrum“ die heißeste Nummer auf dem Methoden-Cat-Walk. Sie ist heute in der Software-Branche allgegenwärtig und schwappt bereits in traditionelle Firmen hinüber, die die Methode über ihre Software-Dienstleister kennenlernen. Manchmal wird Scrum schon als Allheilmittel für erfolgreiches Projektmanagement oder Arbeiten an sich gehyped.
Zentrale Elemente der Methode sind:
- Es gibt für alle Kundenaufgaben eine klare Ziel- und Aufgabenklärung (was, warum, für wen) in Form von User-Stories.
- Der Kunde bzw. sein Vertreter ist in Person des Product Owners jederzeit ansprechbar, um Fragen zu beantworten.
- Kleine Teams von 5-9 Kollegen mit hoher sozialer Dichte organisieren sich selbst und verfügen über alle Kompetenzen, die anstehenden Aufgaben alleine zu erledigen.
- Fokussierung auf die direkt vor dem Team liegenden Aufgaben mit dem höchsten Kundenwert (der jeweils nächste Zeitabschnitt wird Sprint genannt und umfasst zwei bis vier Arbeitswochen).
- Die Teams nutzen Pull statt Push als Steuerungsprinzip, d.h. Arbeit wird ihnen nicht zugewiesen, sondern jeder nimmt sich seine Aufgaben.
- Mit Zeitschätzung für alle Aufgaben, Begrenzung des WIP und Nutzung eines Task- bzw. KANBAN-Boards bringen sie die Arbeit in Fluss.
- Die Fortschrittsermittlung und Klärung von Hindernissen erfolgt täglich.
- Mit dem Scrum-Master kümmert sich jemand um die Regel- und Rolleneinhaltung und moderiert den Prozess.
- Nach jedem Sprint, also alle 2-4 Wochen wird eine erweiterte Produktversion an den Kunden ausgeliefert.
- Nach jedem Sprint gibt es ein Review-Gespräch, um den Prozess kontinuierlich zu verbessern (KAIZEN).
Kundenorientierung, Fluss, Kanban, Pull, Kaizen, es ist kaum übersehbar, dass Scrum eine Umsetzung der Lean-Prinzipien ist.
Die bemerkenswerten Elemente sind:
- Mit direktem Kontakt zum Kunden und sorgfältiger Auftragsklärung erfolgt die konsequente Orientierung am Kundennutzen.
- Scrum akzeptiert Überraschungen und Neuerungen als unvermeidlichen Teil der Realität (während klassische Projektmanagementmethoden vergeblich davon ausgehen, man könne Überraschungen mit immer detaillierterer Planung bekämpfen).
- Durch die Fokussierung auf die Arbeit der nächsten 2-4 Wochen kann man nichts übersehen. Entsprechend wird auf die Planung von Aktivitäten verzichtet, die weiter in der Zukunft liegen und sich noch ändern werden. Das reduziert die mit wiederholter Umplanung verbundene Verschwendung.
- Kleine Teams, Pull und tägliche Treffen sorgen dafür, dass alle einander helfen und die Nebenwirkungen klassischer Arbeitsteilung überwunden werden. Diese Elemente bringen den Spaß in die Methode (Anmerkung: es ist schade, dass die die Methode in ihrer reinen Form auf Pair-Working als Element zur Produktivitätssteigerung und Parallelisierung der Arbeit verzichtet).
- Die Methode ist sehr reaktionsschnell und verfügt über einen Lösungsmodus bei Überraschungen, so werden Irritationen und Liegezeiten konsequent vermieden.
- Scrum kommt ohne EDV-Tools aus und kann kurzfristig eingesetzt werden.
- Mit dem Scrum Master gibt es jemanden, der sich auf Meta-Ebene um die Prozessstabilität kümmert.
Die Grenzen der Methodik:
- Scrum geht von sehr homogenen Ressourcen aus. Wenn die Kompetenzen stark heterogen werden, wie z.B. im Maschinenbau mit sagen wir 20-25 beteiligten Kompetenzprofilen, dann lässt sich die notwendige soziale Dichte in einem Gesamtteam nicht mehr erreichen.
- Scrum geht von festen Kapazitäten des Teams aus. Hierfür wird die leistbare Arbeit ermittelt. Das ist am Ende nicht kundenorientiert und mit der Kapazitätsflexibilität wird auf einen wesentlichen Hebel zur Projektbeschleunigung verzichtet.
- Weil Termine, Qualität und Kosten fix sind, atmet die Methode über die Funktionalität. D.h. Hindernisse und Verzögerungen werden in Minderfunktionen umgewandelt. Eine klassische Aufgabenstellung, in der alle vier Komponenten fest sind, kann die Methode nicht ohne Anpassungen bewältigen.
- Grundsätzlich stellt die Skalierung ein Problem dar. Wenn mehrere Teams an unterschiedlichen Facetten desselben Systems arbeiten, steigt die Zahl der Interdependenzen und täglichen Abstimmungsrunden mit jedem weiteren Team stark an. Die technische Entkopplung der Teams z.B. über definierte Schnittstellen ist deshalb eine wichtige Komponente zur reibungslosen Skalierung.
- Scrum braucht Produkte, die inkrementell erweiterbar sind und dennoch jeweils funktionieren. Z.B. wenn es um verschiedene Maßnahmen zur Weiterentwicklung oder Optimierung bestehender Produkte geht. Es ist aber schwer vorstellbar, alle zwei Wochen 10 m einer neuen Autobahn zu bauen und die jeweils nächsten 10 m erst danach zu planen.
- Die Kurzfristigkeit der Betrachtungsweise verleitet dazu, bei verketteten Aufgaben die Vorbeugung späterer Stolpersteine zu vernachlässigen.
In Software-Firmen beobachten wir in der praktischen Anwendung zudem oft Kompromisse und halbherzige Umsetzungen, durch die die Methode einen Großteil ihrer Kraft verliert:
- Der Chef, der als Product owner fungiert, aber nicht zur Verfügung steht, weshalb Rückfragen wochenlang liegen bleiben.
- Der Chef, der kurzfristig neue Aufgaben in den laufenden Sprint einbringt.
- Die Entwickler, die phasenweise zum Support herangezogen werden, weshalb ihre Kapazitäten für den aktuellen Sprint nicht zur Verfügung stehen. Womit die Arbeit zum Stillstand kommt.
- Verzicht auf einen Scrum-Master, weshalb das System degeneriert (Keine richtigen Kanban-Tafeln mit Begrenzungen, keine Fortschrittsbetrachtung über Burndown, keine Verbesserungskultur).
Fans der Methodik schwärmen davon, dass die Arbeit mit Scrum endlich wieder Spaß macht. Das sind Lorbeeren, die der Methodik strenggenommen nicht gebühren. Denn in Summe lebt Scrum von der Kraft eigenorganisierter, intensiv kommunizierender Teams, die sich stetig verbessern und dank Fokussierung und hoher Transparenz über den Projektfortschritt dafür sorgen, dass ihre Arbeit im Fluss bleibt. Das ist im Kern Lean und nicht neu und kein Grund, unsere bisherigen Methoden über Bord zu werfen. Aber vielleicht können wir sie ja mit Scrum-Komponenten noch ein Stück weit verbessern.
Wenn Sie wissen wollen, wie Sie Lean-Prinzipien in ihrer Firma nutzen und auch ohne Scrum Spaß an der Arbeit haben, lesen Sie hier mehr.
(Diesen Beitrag haben wir am 25.05.2017 unter dem Titel „Scrum ist ganz heißer Methoden-Shit (von-scrum-lernen)“ erstmals veröffentlicht und aus gegebenem Anlass erweitert).
Bild: unsplash, Verena Yunita Yapi