Vor einigen Wochen erzählte mir ein befreundeter Berater, dass er Tage zuvor mit seinen Kindern auf der Schwelle zum Erwachsensein darüber gesprochen habe, wie er zu seinem Vermögen gekommen sei. Dass er auf dem Weg dahin zunächst der eisernen finanziellen Regel gefolgt sei, immer Liquiditätsreserven von drei Monatsausgaben (oder -gehältern) vorzuhalten, um vor allen Risiken geschützt zu sein. Danach sei es ganz einfach gewesen, er habe den Puffer einfach immer weiter ausgebaut.
Ich hörte aufmerksam zu und lächelte in mich hinein. Eine solche Regel mag es ja mal gegeben haben, aber Dank üppiger Kündigungsfristen, allerlei Versicherungen und 0%-Finanzierungen sind Versuchungen groß und Risiken nachrangig geworden. Im Tagesgebrauch unserer Gesellschaft sind finanzielle Reserven mit Ausnahme der Altersversorgung fast gänzlich aus der Mode gekommen. Die meisten Bürger wirtschaften an ihren Dispogrenzen und fragen sich bei jeder Ausgabe und jedem ungebetenen Schnäppchen „kann ich mir das noch leisten oder nicht?“ Und Menschen mit Kapitalstock saugen sich auf der Jagd nach dem letzten Quentchen Leverage-Effekt bis zur Oberkante mit Bankdarlehen voll.
Dieses verbreitete Finanzgebaren wäre nicht weiter schlimm, würde es nicht massiv auf Betriebe und Firmen abfärben. Nicht nur, dass die Verschuldungsgrade von größeren Unternehmen im Zuge von Aktienrückkäufen und überteuerten Zukäufen in den Jahren ohne nennenswerte Zinsbelastung explodiert sind, auch das operative Geschäft vieler Firmen wird in demselben Geist betrieben. Eigentlich kein Wunder, denn in Zeiten höchster Dynamik schrumpfen die Gewinne und immer größere Anteile werden für Tantiemen und Ausschüttungen benötigt. So fällt die Bildung von Liquiditätsreserven immer schwerer. Und dann noch die Verlockung günstiger Kredite. Und eh wir uns versehen, operieren wir wie Privatleute und leben von der Hand in den Mund, je nach dem, was die Banklinie noch hergibt.
Das Fatale daran ist, dass dieser Zustand zuhauf Fehlentscheidungen produziert: Wir verkneifen uns Experimente, weil wir „uns das nicht leisten können.“ Was unser Entwicklungspotential in Zeiten größter Marktveränderungen aller Zeiten massiv einschränkt. In der Abwägung zwischen „selber“ und „Dienstleister“ entscheiden wir uns für „selber“, weil das ja Geld spart und werkeln von da an mit handgestrickten und lauwarmen Lösungen und allerhand verdeckten Engpässen vor uns hin. Damit verschenken wir zwar zukünftiges Geld, aber jeden Tag nur ein bisschen und so subtil, dass wir es nie wieder schwarz auf weiß zu sehen bekommen.
Insgesamt beschäftigen wir uns andauernd und viel mehr als notwendig mit Abwägungen, ob wir angesichts der Risikolage Dinge überhaupt tun können und wälzen unsere Gedanken x-mal vor und zurück. Das raubt uns wertvolle Energie, die am Markt und Kunden viel besser aufgehoben wäre. Deshalb haben wir nur zwei Alternativen: Wir verpassen sehenden Auges unsere Zukunft und leben weiter von der Hand in den Tod. Oder wir besinnen uns finanzieller Weisheiten und bilden wieder Liquiditätsreserven. Um die täglich steigenden Geschäftsrisiken locker abzufedern und mutiger zu werden, unseren Markterfolg der Zukunft und den notwendigen Umbau konsequent zu betreiben.
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